Mordshunger
Verfügung.«
»Danke. Können Sie bestätigen, dass Herr von Barneck am Abend der Ermordung in der Villa war?«
»Aber ja!« Schmitz hob die Brauen und fügte den drei Dutzend Falten auf seiner Stirn ein paar weitere hinzu. »Wir hatten, wie Sie sich erinnern werden, einen Empfang.«
»Ich weiß. Ist er aber währenddessen oder vorher aus dem Haus gegangen?«
»Lassen Sie mich überlegen … nein. Den Nachmittag verbrachte er mit Herrn Hartmann und Frau Feldkamp in seinen Arbeitsräumen. Anschließend kümmerte er sich um die Vorbereitungen, führte verschiedene Telefonate und begrüßte dann die Gäste.«
»Und Sie wussten immer, wo er war?«
»Selbstverständlich! Auch wenn es nicht zu meinen Usancen gehört, Herrn von Barneck auf Schritt und Tritt im Auge zu behalten. Er selber ist es, der mich informiert.« In seiner Stimme schwang Stolz mit. »In all den Jahren ist es nicht ein einziges Mal vorgekommen, dass er mich über seinen Aufenthaltsort im Ungewissen gelassen hätte!«
»Glückwunsch. Wissen Sie auch, wo er heute Abend sein wird?«
»Sicher doch.«
»Und wo?«
Schmitz legte den Kopf schief und blinzelte ihn von unten herauf an.
»Darf ein Butler denn geschwätzig sein, Herr Kommissar?«
»Gute Güte, nein!«, rief Cüpper im Brustton der Entrüstung. »Ich ziehe meine Frage zurück und stelle eine andere: Können Sie Ihren Chef und Max Hartmann auseinanderhalten?«
Schmitz wirkte überrumpelt. »Ich … denke schon.«
»Ich meine, in voller Verkleidung?«
»Oh! Aha! Verstehe. Nein, das kann ich leider nicht.«
»Es sind also wirklich nur die Haare, die sie voneinander unterscheiden?«
Schmitz lächelte fein. »Nicht ganz. Herr Hartmann und ich teilen beispielsweise – ganz im Gegensatz zu Herrn von Barneck – eine leidige Sehschwäche, welche meinerseits altersbedingt, bei ihm jedoch angeboren ist.«
»Stimmt«, sagte Cüpper. »Gestern Abend trug er eine Brille.«
»Er trägt immer etwas. Da Herr von Barneck über einen wahren Adlerblick verfügt, wenn ich mir den Vergleich gestatten darf, bedient Herr Hartmann sich in offiziellen Fällen der segensreichen Erfindung zweier Kontaktlinsen.«
»Was ist er denn? Kurzsichtig?«
»Sie sagen es. Ein weiteres Merkmal wäre sodann eine kleine Tätowierung, welche aus Herrn Hartmanns Jugendtagen stammt. Er trägt sie am linken Oberarm. Ein winziger Skorpion, über dessen Bedeutung ich nichts weiß. Darüber hinaus werden Sie bemerkt haben, dass Herr Hartmann über eine hellere Stimmlage verfügt.«
»Er verfügt über jede Stimmlage, nicht wahr?«
»Darin ist er perfekt!«
»Und rein menschlich?«, fragte Cüpper. »Ich meine, wie unterscheiden sich die beiden im Charakter?«
»Nun …« Schmitz stockte und sah hoch zur ersten Balustrade, als folge er einem lautlosen Ruf.
»Beide Herren sind Ehrenmänner«, sagte er zögernd.
»Das habe ich eigentlich nicht gemeint.«
»Aber ich. Wenn Sie gestatten, werde ich Sie jetzt bei Herrn von Barneck melden.«
»Tun Sie das«, sagte Cüpper ergeben. Schmitz nickte ihm zu, dankbar, dass der Kommissar nicht weiter auf seiner Frage insistierte. Gemessenen Schrittes erstieg er die Treppe und verschwand in von Barnecks Arbeitszimmer. Es kam Cüpper vor, als sei eine Ewigkeit verstrichen, bis er endlich nach oben gerufen wurde.
Von Barneck saß im Dunkeln. Bleiernes Licht fiel durch das Fenster hinter ihm und umgab seinen Kopf mit einer silbrigen Aura.
»Ich habe wenig Zeit«, sagte er leise. »Wird es lange dauern?«
»Nein«, antwortete Cüpper.
»Gut. Nehmen Sie Platz. Einen Whisky?«
»Ich bin im Dienst.«
»Ich auch.«
Cüpper schmunzelte. »Was hätten Sie anzubieten aus Ihrer großen Schatzkammer?«
»Schwere Zeiten erfordern schwere Getränke. Was halten Sie von einem Laphroaig?«
»Wie alt?«
»Zehn Jahre.« Von Barneck griff nach der Flasche, die neben ihm stand, holte ein zweites Glas für Cüpper und füllte es mit dunklem Gold. Schweigend ließen sie dem Whisky Zeit, seinen komplexen Charakter zu entfalten. Torf und salzige Seeluft, Rauch und Sherrynoten, Unerklärliches.
»Sie kennen den Ursprung des Wortes Whisky«, sagte von Barneck. Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
»Uisge beatha«, murmelte Cüpper.
»Wasser des Lebens«, nickte von Barneck. »Die Engländer waren zu ignorant, das Gälisch der Schotten richtig auszusprechen. Darum sind sie heute sterblich und die Schotten nicht.«
»Sie wären also gern ein Schotte?«
Von Barneck stellte sein Glas ab.
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