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Mordshunger

Titel: Mordshunger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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streichen.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe keinen Zeugen, wenn Sie das meinen.«
    »Dann bleiben Sie vorerst drauf.«
    »Bin ich denn verdächtig?«
    »Ja.«
    »Und was ist Ihre Meinung?«
    »Meine persönliche Meinung tut hier nichts zur Sache.«
    »Ach, so ist das.« Sie schaute ihm spöttisch ins Gesicht. »Was wollen Sie dann noch? Verhaften Sie mich doch!«
    »Das könnte Ihnen so passen. Warum haben Sie mich angerufen, Marion?«
    »Ich weiß es nicht – Romanus.«
    Er musste lächeln. So wie sie seinen ungeliebten Vornamen aussprach, klang er plötzlich gar nicht mehr so übel.
    »Also?«
    »Also was?«
    »Warum wollten Sie mich sehen?«
    Sie schwieg und schaute an ihm vorbei, während ihre Kinnmuskeln arbeiteten. Cüpper überlegte, was er sagen könnte. Er sah zu, wie die Band letzte Vorbereitungen für ihren Auftritt traf, ein paar Neugierige, die auf die Bühne kletterten und wieder runtergescheucht wurden. Ulli hängte sich eine elektrische Gitarre um und versuchte ein paar Akkorde. Das Pfeifen der Rückkopplung zerriss Cüpper fast das Trommelfell. Dann hatte der Mann am Mischpult ein Einsehen, und plötzlich wurde aus dem schrägen Klirren eine zarte, langsame Melodie.
    »Ich will tanzen«, sagte Marion.
    Cüpper wollte etwas Sachliches erwidern, dass jetzt nicht die Zeit sei, zu tanzen, dass sie Wichtigeres zu bereden hätten. Stattdessen streckte er die Hand aus und ließ seine Fingerspitzen langsam über ihr Gesicht gleiten.
    Erschrocken zuckte er zurück. Bist du denn von allen guten Geistern verlassen, schalt er sich. Mach gefälligst deinen Job, verdammter Idiot.
    Im nächsten Augenblick wiegten sie sich im verschleppten Takt der traurig schönen Ballade.
    »Haben Sie eine Frau?«, fragte sie leise.
    »Nein.«
    »Eine Freundin?«
    »Ich hatte eine.«
    »Wo ist sie?«
    »Sie ist gegangen.«
    »Warum?«
    Eine gute Frage. Er hatte immer noch keine Antwort darauf gefunden.
    »Erzählen Sie mir irgendwas von sich«, bat sie.
    »Was soll ich erzählen?«
    »Irgendwas.«
    Er drückte sie fester an sich, als könnte sie ihm entgleiten. Ein Rest seiner Selbstbeherrschung protestierte, wies darauf hin, er sei im Stadtgarten und im Dienst. Er hörte nicht weiter hin, sondern ging den Pfad seiner Erinnerungen zurück auf der Suche nach etwas, das er ihr erzählen konnte.
    Und fand sich wieder im Zoo.
    »Ich war sehr klein, als wir zu den Löwen gingen«, sagte er. »Mein Vater meinte, ich sei feige. Vielleicht war ich das. Jedenfalls, er wollte mich kurieren, weil er dachte, dass es Feiglinge zu nichts bringen.« Wie lange war das her! »Einer der Löwen kam sehr nah ran, und mein Vater hielt mich dicht ans Gitter. Damals waren sie noch in Käfigen, es gab keine Freigehege. Aber ich begriff nicht, dass da Gitterstäbe waren. Ich dachte, mein Vater hätte es aufgegeben mit mir und wollte mich zur Strafe für meine Ängstlichkeit an die Bestien verfüttern. Ich brüllte lauter als der Löwe. Ich schrie sogar noch, als wir längst schon auf der Riehler Straße waren, weniger aus Angst, sondern weil ich spürte, wie enttäuscht mein Vater war.« Er machte eine Pause und musste unwillkürlich lächeln. »Seltsam. Ich hatte das eigentlich vergessen.«
    »Sind Sie darum zur Polizei gegangen?« Ihre Frage war ein kleines Tier, das verspielt an seinem Ohr knabberte.
    »Ja. Mag sein.«
    »Aber Sie haben immer noch Angst.«
    »Jeder hat ein Recht auf Angst.« Das klang, als spräche er sein eigenes Plädoyer. »Kein Vater, niemand hat das Recht, sie einem zu nehmen.«
    »Sie haben Angst vor Katzen.« Fast schien es, als bereite ihr die Erkenntnis Vergnügen.
    Cüpper schwieg.
    Sie kicherte. »Sie sehen süß aus, wenn Sie ängstlich sind.«
    Er wollte etwas erwidern, aber da endete die Musik wie mit dem Beil gekappt.
    »Scheiße!«, schrie Ulli Stoerer, kein Minnesänger mehr, sondern nur noch ein überdrehter und cholerischer Künstler. »Scheiße, Scheiße, Scheiße! Das ist kein Sound, das ist Trash! Nimm doch mal die bekackten Höhen raus!«
    Marion schoss einen giftigen Blick in Richtung Bühne ab. Der Stadtgarten war wieder der Stadtgarten. Cüpper ließ sie los.
    »Ich muss Sie etwas fragen, Marion«, sagte er nüchtern. »Es wird Ihnen nicht gefallen.«
    Sie zuckte die Achseln.
    »Hat Ihre Mutter Ihnen irgendetwas hinterlassen? Vermögen? Immobilien?«
    »Sie meinen, ob es sich für mich gelohnt hätte, sie deswegen umzubringen?«, antwortete sie.
    »Ja. Genau das.«
    Die versilberte Kellnerin trug Bier

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