Mordshunger
hilflos auf ihre Jeans verwiesen, die augenscheinlich nur von einem höheren Willen zusammengehalten wurden. Cüpper überzeugte sie, dass Jeans zu den bedeutenderen Errungenschaften der Menschheit gehörten und es eher das Problem der Gastronomen gewesen sei, sich nicht an sie gewöhnen zu können – vor etwa zwanzig Jahren.
»Aber Sie selber«, sagte sie irgendwann zwischen zwei Schlucken 86er Mas de Daumas Gassac, »tragen Anzug, weißes Hemd, Krawatte. Warum?«
»Es hilft mir, mich auf meinen Dienst zu konzentrieren«, meinte er scherzhaft.
»Oh. So wie jetzt?«
»Nein«, lächelte Cüpper. »Jetzt ist es einfach nur ein Anzug. Ich mag dunkle Anzüge und dezent gemusterte Krawatten.«
Sie sah ihm in die Augen und lächelte zurück.
»Vielleicht mag ich sie ja auch. Ein bisschen.«
Plötzlich fand Cüpper, dass sie die schönste Frau war, der er je begegnet war. Versonnen nippte er an seinem Glas und wünschte sich, er sei ein Tiger.
»Übrigens«, sagte sie, als sie nach Dessert und Käseplatte prall in den Stühlen hingen, »morgen kommt die Stunde der Wahrheit.«
»Nämlich?«
»Inka hat ein Testament gemacht.«
Cüpper stellte seinen Marc de Champagne ab, schlagartig ernüchtert. Offenbar war es unmöglich, dem Fall zu entfliehen.
»Keine Sorge«, sagte er. »Was immer für Sie rausspringt, Sie stehen nicht mehr auf meiner Liste.«
»Das ist es nicht.« Ihre Hand glitt über den Tisch, ein krabbelndes Wesen auf der Suche nach etwas Unbestimmtem. Er fühlte, wie ihre Fingerspitzen die seinen streiften und sich sofort wieder zurückzogen, aber es war, als wäre Starkstrom geflossen. »Inka war nicht der Typ, der Testamente macht. Sie glaubte, das Leben gepachtet zu haben.«
»Sie wussten wirklich nichts von einem Testament?«
»Nein. Sie hat oft genug gesagt, dass sie keines machen wird. Na, morgen ist Eröffnung.«
Ihr Blick schweifte ab.
»Leben Ihre Eltern noch?«, fragte sie, mehr ins Leere.
»Ja.«
»Gesund? Zufrieden?«
»Beides. Sie haben ein Haus in Lindenthal, mit Garten hintendran. Wir sehen uns nicht oft, aber es ist okay.«
Einen Moment lang drohte die Stimmung in Melancholie umzuschlagen. Plötzlich schlug Marion mit der flachen Hand auf den Tisch und grinste ihn breit an.
»Wir gehen jetzt in den Stadtgarten und machen Ulli eine lange Nase!« Sie kicherte.
Cüpper merkte, wie eine miese Stimmung in ihm hochstieg. Entschlossen kämpfte er sie nieder.
War er etwa eifersüchtig?
Dann wollte er zahlen, und sie wollte zahlen. Minutenlang stritten sie herum, steckten schließlich beide ihr Portemonnaie in den Hosengürtel und klärten die Sache nach Art der Revolverhelden. Cüpper zog schneller. Sie lachte, die grünen Augen funkelten vor Vergnügen –
– und Cüpper stellte fest, dass es passiert war.
Einfach passiert.
Ergeben fügte er sich in sein Schicksal, akzeptierte Ulli Stoerer und tröstete sich damit, dass er sie verlor, ohne sie gehabt zu haben.
Im Stadtgarten war es brechend voll. Ulrich Stoerer stand an der Bar, als sie hereinkamen, und trank Brandy.
»Alkohol?«, raunte Cüpper Marion zu, als Ulli sich mit einem Hüftschwung von der Theke löste und herüberkam. »Was ist mit seinem Karma? Haben die Außerirdischen nicht jede Art von Drogen verboten?«
»Es sind neue Außerirdische gekommen, die waren anderer Meinung.« Marion krauste die Nase. »Bei uns landen die Außerirdischen immer so, wie es Ulli gerade passt.«
»He!« Der Musiker legte den Arm um ihre Schultern und blinzelte Cüpper übermütig an. »Sie ermitteln aber reichlich spät.«
»Ich habe nicht ermittelt«, sagte Cüpper bemüht freundlich.
»Was, ehrlich? Oh Mann, ich dachte immer, ihr von der Polizei seid permanent im Dienst. Mit der Mütze auf die Welt gekommen!« Er lachte laut und tippte Cüpper mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf die Brust. »Jedenfalls klasse, dass Sie da sind. Marion muss Ihnen irre viel erzählt haben. Ist absolut hip, was wir hier machen, der pure Astrojazz! Wussten Sie, dass Musik unter dem Einfluss gebündelter kosmischer Strahlung entsteht?«
»Du redest Scheiße«, sagte Marion trocken.
»Klar, wir reden alle Scheiße. Das Universum ist ein Haufen Scheiße.« Er bleckte die Zähne und drückte Marion fester an sich, während er unverwandt den Blick auf Cüpper gerichtet hielt. »Aber meine Musik ist keine Scheiße. Stimmt’s, Baby?«
»Stimmt.« Sie löste sich aus seiner Umarmung und tätschelte ihm die Wange wie einem kleinen Jungen. »Musst
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