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Mordshunger

Titel: Mordshunger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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sich in Bewegung.
     
    Der Haupteingang!
    Cüpper erreichte den Kölner Zoo in einem Zustand, der jede Frage nach Kondition und Leistungsgrenzen außer Diskussion rückte. Wenn er jetzt stehen blieb, würde er keinen Fuß mehr vor den anderen setzen können. Er würde einen Infarkt erleiden, seine Lungen würden platzen, seine Knochen auseinanderfallen.
    Keuchend nahm er die Stufen zur offenen Tür des Verwaltungsgebäudes. Der verglaste Empfang war unbesetzt. Er schlitterte daran vorbei, in den angrenzenden Gang hinein und durch die Hintertür ins Reich der Bestien.
     
    Etwa zur gleichen Zeit kam Gopper aus dem Urwaldhaus. Er sollte eine der Türen reparieren, Sache zweier Schrauben und eines Schraubenziehers. An die Schrauben hatte er gedacht.
    »Lass dich verschrotten«, brummte er zu sich selbst und trottete den Weg zurück zum Schuppen, vorbei an den indischen Wölfen. Wenige Meter weiter zweigten links die Treppen zum Löwengelände ab. Ging man den Weg geradeaus, beschrieb er nach knapp hundert Metern eine Kurve um die Affeninsel, gabelte sich und führte entweder zurück zum Haupteingang oder wieder zu den Großkatzen.
    Plötzlich glaubte er, in der Kurve eine Gestalt zu sehen. Weißhaarig, hochgewachsen.
    Er blieb stehen und kniff die Augen zusammen.
    Sollte Marion nicht Besuch bekommen?
    »Hallo?«, rief er.
    Die Gestalt war verschwunden.
     
    Kurz vor der Affeninsel drehte Marion um und lief an den Kasuaren vorbei bis zu den Coburger Fuchsschafen. Fritz war nirgendwo zu sehen.
    Sie überlegte, ob sie bis zum Haupteingang gehen sollte. Möglicherweise hatte sie ihn falsch verstanden, und er wartete dort auf sie.
    Aber es war fast acht!
    Sollte er es ohne sie schaffen. Zur Sicherheit passierte sie das Gehege mit den Känguruhs, eine weitere Ecke, an der man schnell die Orientierung verlor, sah sich noch einmal um und trabte zurück zu ihren Katzen.
     
    Er war doch falsch gegangen!
    Zornig stapfte der Mörder den Weg zurück, nicht wissend, dass ihn nur wenige Meter weiter Treppen ans Ziel geführt hätten. Seine Hand umklammerte das Messer unter dem Jackett. An der Affeninsel verlor er völlig die Orientierung und geriet in eine Abzweigung. Plötzlich war er bei den Pinguinen. Er hörte Stimmen, machte auf dem Absatz kehrt, dass der Kies knirschte –
    – und erinnerte sich wieder.
    Er hätte den schmalen Weg gehen sollen.
    Schnell jetzt! Er musste es hinter sich bringen. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Rasch schritt er aus.
     
    Cüpper glaubte es nicht mehr zu schaffen. Als er zwischen dem Flamingoweiher und dem Südamerikahaus durchhetzte, war ihm, als steckten Pfeile in seinen Lenden.
    »Weiter!« keuchte er. »Weiter! Los, lauf, du lahmer, fetter, alter Bulle, lauf!«
    Er würgte vor Anstrengung. Weiter vorne tauchte die Gabelung auf, an der es rechts zur Affeninsel ging und links zu den Katzen. Und plötzlich sah er ihn. Er ging direkt zum Raubtierhaus. Cüpper wollte schreien, aber seiner Brust entrang sich nur ein heiseres Ächzen.
    Alles in ihm presste sich zusammen.
    Marion! Marion!!!
     
    »Marion!«
    Sie ließ die Tür zum Raubtiergebäude los und drehte sich um. Er kam lächelnd den Hauptweg herunter, eilig ausschreitend. Die weiße Mähne strahlte in der Sonne wie ein Heiligenschein. Typisch Manager, dachte sie. Der Flieger steht wahrscheinlich schon auf dem Rollfeld, alles wartet nur auf ihn.
    »Ich dachte, du findest mich nicht mehr«, rief sie.
    Seine Hand glitt unter den Blazer. Er lächelte noch breiter.
    »Ich finde jeden, Marion.«
    Cüpper fühlte sein Herz wie einen Presslufthammer schlagen. Er holte tief Luft und versuchte zu schreien. Seine Beine hatten sich verselbständigt, etwas steuerte sie, er wusste nicht, was. Seine Rechte glitt ins Halfter, zog den Revolver. Vor ihm tauchten die beiden Freigelände für die Großkatzen auf, vorne das der Tiger, dann die Löwen, dazwischen das niedrige, quergestreckte Haus, in dem die Fütterungen stattfanden.
    Er sah Marion, wie sie sich von der Tür entfernte.
    Sah den Mörder.
    Fast bei ihr –
    Cüpper stolperte und schlug der Länge nach hin.
    Er spürte nicht, wie seine Handflächen vom rauen Asphalt aufgerissen wurden, nur dass er plötzlich wieder Luft bekam.
    »Marion!«, schrie er.
    Die weißhaarige Gestalt wirbelte zu ihm herum. Gleichzeitig tauchte ein alter Mann oben an der Treppe auf, die aus entgegengesetzter Richtung zu den Raubkatzen führte. Cüpper fing Marions hilflosen, verwirrten Blick auf und versuchte hochzukommen.

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