Mordshunger
Fleck aus.
Jemand hatte geschossen.
Hartmanns Blick schweifte ab, eine Sekunde zu lang.
Es reichte, um sich loszumachen. Mit aller verbliebenen Kraft landete Cüpper einen Schwinger gegen Hartmanns Kopf und rollte unter dem plötzlich nachlassenden Gewicht zur Seite. Aus den Augenwinkeln sah er Hartmanns Körper über die Kante des Dachs kippen und nach unten verschwinden, während er selber sich um hundertachtzig Grad drehte, so dass plötzlich seine Beine über dem Abgrund hingen. In Panik streckte er die Hände aus, um Halt zu finden, krallte sich in die Teerpappe.
Und wurde in die Tiefe gerissen.
Seine Finger schrammten über das Dach, die Fingernägel splitterten. Hartmann hatte es irgendwie geschafft, sich an seinen Beinen festzukrallen. Er spürte einen fürchterlichen Ruck, dann ging auch er über die Kante.
Verzweifelt klammerte er sich daran fest, ein letzter Halt.
Und rutschte ab.
Langsam, Millimeter für Millimeter.
– nur noch die Fingerspitzen – Hartmann, wie er versuchte, sich an ihm hochzuhangeln – grausamer Schmerz im Bein –
Alles drehte sich.
Dann raste der Erdboden auf sie zu.
Südstadt
Rabenhorst gab das Zeichen.
Einer der Polizisten warf sich gegen die Tür, zwei-, dreimal. Krachend flog sie auf. Zwei Männer sprangen mit gezogenen Waffen hinein und suchten die Wohnung ab.
»Scheint alles sauber zu sein!«
»Okay«, sagte Rabenhorst. »Schauen wir mal.«
Er fragte sich, welcher Teufel Cüpper geritten haben mochte, ihm diesen Befehl zu geben. Nichts in der Wohnung deutete darauf hin, dass Eva Feldkamp vorzeitig zurückgekehrt war.
Aber Cüpper tat selten etwas ohne Grund. Rabenhorst ging an die Fensterfront und sah hinaus. Zu hoch für ihn. Er war nicht schwindelfrei. Schnell drehte er sich um und schaute im Bad nach.
Leer.
Einer seiner Leute hatte unterdessen die Türen der Schlafzimmerschrankwand aufgerissen und teilte Blusen und Röcke. Er machte Anstalten, den Schrank wieder zu schließen, da glaubte Rabenhorst, eine Bewegung wahrgenommen zu haben. Schnell trat er hinzu.
»Warten Sie!«
Der Boden des Schranks war mit einer großen, wollenen Decke ausgelegt. Rabenhorst ging in die Hocke und zog sie weg. Darunter kam Eva Feldkamps Gesicht zum Vorschein.
»Schnell! Holen Sie sie raus!«
Vorsichtig zogen sie die Frau aus dem Schrank und legten sie auf das Bett. Sie war gefesselt, auf ihrem Mund klebte ein Pflaster. So wie man sie verpackt hatte, hätte sie sich nie aus eigener Kraft befreien, nicht einmal aus dem Schrank kriechen können.
Ihre Augenlider flatterten. Sie stöhnte leise.
»Holen Sie Wasser«, befahl Rabenhorst. Schnell löste er die Fesseln und entfernte den Klebestreifen.
»Frau Feldkamp! Können Sie mich verstehen?«
»Die ist auf’m Trip«, sagte einer der Polizisten. »Völlig high.«
Rabenhorst besann sich einen Augenblick. Dann holte er aus und gab ihr rechts und links ein paar schallende Ohrfeigen.
»Frau Feldkamp!«
Sie öffnete die Augen.
Mordshunger
Wasser schlug über Cüpper zusammen. Er schnappte nach Luft, bekam faulige Flüssigkeit in die Lungen und glaubte, ersticken zu müssen. Keuchend und spuckend tauchte er auf.
Sie waren haarscharf an der Uferkante vorbeigefallen und in den Graben gestürzt.
Links sah er Hartmann, der mit langsamen, unbeholfenen Bewegungen von ihm weg- und auf die steile Betonwand zustrebte. Mindestens drei Meter ragte sie über ihnen empor.
Unmöglich, da raufzukommen.
Aber Hartmann schien nichts Derartiges vorzuhaben. Er schwamm weiter den Graben entlang.
Er will ans andere Ende, schoss es Cüpper durch den Kopf. Da, wo das Gitter an den Wassergraben schließt, das den Lebensraum der Löwen begrenzt.
Er will über den Zaun!
Dann hörte er das Knurren.
Eine der Löwinnen kam in langen Sätzen auf ihn zu und stoppte Zentimeter vor der Kante. Der riesige Schädel schoss nach vorne. Sie öffnete das Maul und ließ ein ohrenbetäubendes Brüllen hören, so dass Cüpper deutlich die langen Reißzähne sehen konnte.
Ohnmächtiges Grauen erfasste ihn. Wieder bekam er Wasser zu schlucken. Er warf sich auf den Rücken und trieb, mit den Armen rudernd, ein Stück nach hinten.
Die Löwin starrte ihn an. Sie schien zu überlegen, ob die Beute wert sei, sich ins Wasser zu begeben. Offenbar war sie irritiert. Zornig wanderte sie am Ufer entlang und zog knurrend die Lefzen hoch. Cüpper roch ihre schwere Ausdünstung, den scharfen, tranigen Geruch des Fleischfressers.
Hastig paddelte er ein weiteres Stück
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