Mordsidyll
hineingeraten, die sich ganz anders darstellt, als sie erscheint?«, bemerkte Tim spitz.
»Was willst du damit sagen?«, mischte sich Anna in das Gespräch ein.
»Nicht alle, die sich als Freunde ausgeben, sind auch wirklich welche. Nicht wahr, Herr Weber?«
»Was sollen diese Andeutungen, Tim?«, fragte Anna besorgt.
»Lass ihn nur«, beschwichtigte sie Ronald. »Bei dem riesigen Schlamassel ist es doch klar, dass die Nerven blank liegen. Vielleicht erklärt ihr mir einfach, was sich alles ereignet hat. Das wäre doch am besten, oder?«
»Das glaube ich nicht«, sagte Tim entschlossen.
Ronald runzelte die Stirn und fixierte Tim. Anna behagte die Situation ganz und gar nicht. Sie wollte Ronald eigentlich ihre Taten beichten und dann zur Polizei gehen. Doch irgendwas lag hier in der Luft.
Als die beiden Männer sich in Schweigen hüllten, stand Anna auf und begann, den Tisch abzuräumen. Tim folgte ihr zur Küchenzeile. »Ich muss dich unter vier Augen sprechen«, flüsterte er ihr zu, als sie nebeneinander an der Spüle standen.
Anna schaute über die Schulter zu Ronald, der sie vom Tisch aus beobachtete. »Warum? Was hast du plötzlich gegen Ronald? Er hat uns immerhin geholfen«, wisperte sie und klapperte dabei lautstark mit dem Geschirr, damit Ronald sie nicht hören konnte.
»Hey, ihr braucht nicht zu flüstern. Wenn ihr mir nicht vertraut, kann ich rausgehen oder auch fahren«, rief er.
Anna merkte, wie sie rot anlief. Sie fühlte sich wie ein Schulmädchen, das beim Schwatzen ertappt worden war.
Langsam drehte sie sich zu ihrem alten Schulfreund um. »Ronald, das ist mir peinlich. Ohne dich wären wir hier nicht in Sicherheit. Selbstverständlich gehst du nicht raus. Wir bereden jetzt alles. Zu dritt. In Ordnung, Tim?«
»Das ist nicht peinlich, Anna. Die Lage ist überaus ernst«, erwiderte Ronald.
Tim schüttelte widerwillig den Kopf. Er blickte Anna flehend an.
»Ich muss zur Toilette«, entschuldigte sich Anna. »Ich habe den Tag über literweise Kaffee getrunken.«
Schnell verlieà sie den Wohnraum. Sie musste einfach für einen Moment aus dieser unangenehmen Situation heraus. Was war eigentlich passiert? Was hatte sie da nicht mitbekommen? Ihr war völlig schleierhaft, warum sich Tim mit einem Mal so aufführte.
Im Badezimmer beugte sich Anna über das Waschbecken und warf sich kaltes Wasser ins Gesicht. Erschrocken blickte sie in den Spiegel. Die letzten Tage hatten ihre Spuren hinterlassen. Dunkle Augenränder zeichneten sich ab und ihr Gesicht hatte eine fahle Farbe angenommen. Seufzend trocknete sie sich die Hände ab und atmete tief durch. Sie musste bei klarem Verstand sein, um die zwei Streithähne zu besänftigen.
Als Anna den Wohnraum betrat, blieb sie irritiert stehen. Nichts war mehr wie vorher. Der Raum lag komplett im Dunkeln, von Ronald und Tim keine Spur. Lediglich von einer kleinen Flamme, die im Kamin an den schwarzen Scheiten hoch züngelte, fiel ein spärlicher Schein in den Raum.
»Ronald? Tim?«, fragte Anna unsicher.
Sie bekam keine Antwort. Alles blieb still. Nur das abgebrannte Holz knackte leise. Anna tastete nach dem Lichtschalter. Als sie ihn umlegte, blieb es dunkel. Sie hielt den Atem an. Hier stimmte etwas nicht! Hier stimmte etwas ganz gewaltig nicht! Aber wie konnte das sein? Von einer Minute auf die andere!
Sie versuchte, in dem spärlichen Zwielicht etwas zu erkennen. Ihr Blick blieb an dem Sessel neben dem Sofa hängen. Dort flimmerte etwas. Mit Herzklopfen ging Anna darauf zu. Als sie näher kam, erkannte sie den Blinker eines Angelhakens. Er reflektierte die letzte Flamme des Kaminfeuers. Anna ging ein paar Schritte weiter. Der Haken war an einer dünnen Angelschnur befestigt. Diese war ⦠Anna blieb erstarrt stehen. Die Schnur war um Tims Hals gewickelt! Im Zwielicht sah sie, dass sein Mund offen stand. Seine Augen waren weit aufgerissen und blickten Anna glasig an. Er war tot.
Alles um Anna herum begann, sich zu drehen. Sie suchte nach einem Halt, doch ihre Hand glitt ins Leere. Sie wollte schreien. Dann packte sie eine Hand von hinten und presste ihr den Mund zu.
*
Frustriert stopfte Ruste Zigarettenpackung und Feuerzeug in die Tasche seiner Jeansjacke und schob die Unterlagen in die Schubladen seines Schreibtisches. Es war Zeit für den Feierabend! Sein Tag war schon enttäuschend genug verlaufen. Er
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