Mordskerle (German Edition)
erschöpft. Die ungeheure innere Anspannung, die ihn tagelang umgetrieben hatte, war von ihm abgefallen wie ein zu groß gewordenes Kleidungsstück und alles, was blieb, war Leere und Sinnlosigkeit.
Es ist so banal, dachte Lena indes immer wieder.
Es war schlichtweg banal, so etwas zu erleben. Wenn sie das irgendwann irgendjemand erzählte, würde man es ihr nicht glauben und sie für eine grässliche Wichtigtuerin halten. Aber gleichzeitig erschreckte sie die Ahnung, dass ihr die Zeit, diese Geschichte zum Besten zu geben, möglicherweise gar nicht mehr gewährt wurde.
Plötzlich kniff sie die Augen zusammen. Fing sie jetzt auch noch an, zu halluzinieren? Gerade hatte sie geglaubt, einen Schatten draußen über die Terrasse huschen zu sehen, doch in der nächsten Sekunde waren es sogar ganz viele Schatten, und fast hätte Lena aufgeschrieen, denn unwirklich wie einen nächtlichen Geist sah sie Annelie für eine Sekunde auftauchen, um sofort wieder von der Finsternis verschluckt zu werden.
Was dann passierte, kam so unerwartet und mit einer solchen Gewalt, dass Lena spätestens in diesem Moment überzeugt war, ihr Ende sei nah.
Glas splitterte mit ohrenbetäubendem Geräusch, denn einer der Schatten hatte von außen die Terrassentür eingeschlagen, während gleichzeitig die Eingangstür aufflog und dann kamen die Schatten von überall, füllten den Raum mit hektischer Aktivität, überwältigten Axel, der noch gar nicht wusste, was da über ihn herein brach, und die ganze Zeit konnte man hören, wie Annelie kleine spitze Schreie ausstieß, bis sie Lena endlich entdeckt und erreicht hatte und, am ganzen Körper zitternd, mit flatternden Händen versuchte, den Seidenschal, mit dem Axel Lena an den Stuhl gefesselt hatte, zu lösen.
Doch ihre Kräfte verließen sie, sie schaffte es nicht, sodass Vonhoff auf einmal neben Lena auftauchte. „Lassen Sie mich das mal machen“, sagte er kurz und löste rasch einen Knoten nach dem anderen.
„Mein Kind, mein armes Kind“, stieß Annelie immer wieder hervor, als hätte sie irgendwann in diesem Drama den Namen ihrer Tochter vergessen, während Lena indes ungläubig erkannte, dass ihre Mutter weinte. Das hätte sie nun wirklich nie für möglich gehalten – dass Annelie ihretwegen jemals Tränen vergießen würde.
Als Lena endgültig von allen Fesseln befreit war und das Blut wieder durch ihre tauben Glieder strömen fühlte, erhob sie sich, um hinaus zu gehen, weg von hier, an die Luft, fort von diesem grässlichen Haus, doch sie kam nicht weit, weil ihre Beine plötzlich nachgaben.
„Hoppla“, sagte der Oberkommissar, nicht einmal sonderlich überrascht, und fing Lena auf, als sie ohnmächtig wurde.
21. Kapitel
„ Axel Lentz wollte seine Ehe mit Inken und damit das Versteckspiel um seine Beziehung zu Metin Ünal auf keinen Fall aufgeben“, sagte Vonhoff, während er genüsslich sein Steak mit Kräuterbutter bestrich, um es anschließend zu zerteilen. „Da war er wie Bernhard Beer. Aber er hatte nie beabsichtig, Metin zu töten. Auf der Strecke zwischen Hamburg und der Ostsee haben sie sich gestritten, dass die Fetzen flogen, hat er ausgesagt. Schließlich musste er irgendwo auf einem verlassenen Rastplatz an der Autobahn halten. Dort setzte sich der Streit zwischen den beiden Männern fort. Axel warf Metin vor, sich Bernhard gegenüber nicht klar und deutlich genug abzugrenzen.“
„Also banale Eifersucht von Axels Seite?“, resümierte Lena, während sie dem Kommissar irritiert bei dessen Bemühungen um das Steak zusah.
Vonhoff nickte. „So ist es. Axel erinnert sich nicht mehr, wann er Bernhard und Metin miteinander bekannt gemacht hat. Wahrscheinlich war es irgendwann auf Sylt, wo Axel sowohl als auch Bernhard sich mit Vorliebe aufhielten. Leider war Bernhard Beer kein einfühlsamer Mensch. Seine Versuche, Axel den Jungen abspenstig zu machen, waren ziemlich plump. Und leider besaß Metin nicht genug Rückgrat, ihm gegenüber eine klare Position zu beziehen.“
Es war Ende Juli, und wie es sich für diese Jahreszeit in Hamburg gehörte, hüllte sich die Stadt in grauen Nieselregen. Lena und Vonhoff hatten sich in einem Restaurant an der Alster zum Mittagessen getroffen, nachdem Lena dem Kommissar sicherheitshalber wochenlang aus dem Weg gegangen war.
Heute sahen sie sich nach der großen Befreiungsaktion und den Anhörungen danach zum ersten Mal wieder. Gänzlich unerwartet kam für sie, dass Vonhoff noch keine einzige Bemerkung über ihren
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