Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
er. Du behandelst ihn doch gar nicht wie ein Kind. Der arme Kerl lebt hier wie in einem Museum zwischen den Kultgegenständen deiner angebeteten Tante! Er darf nichts rumliegen lassen, ständig hört man dich: ›Simon, zerkratz den Tisch nicht, Simon, laß die Figur in Ruhe, Simon, das Wohnzimmer ist kein Spielplatz, Simon, tob nicht so herum, Simon, schmatz nicht, Simon, du krümelst!‹ Und wenn ein Kind zum Spielen kommt, dann führst du die Aufsicht wie ein Zerberus, und man sieht dir an, wie sehr dir das alles zuwider ist, denn sie könnten ja was kaputtmachen!«
»Das war nur bei Max so!« verteidigte sich Paula, die nun auch keine Rücksichten mehr kannte. »Max hat jedesmal was kaputtgemacht. Anstatt an meiner Erziehung rumzukritteln, hättest du lieber mal auf seine geachtet!«
»Wir reden jetzt aber von Simon, nicht von Max«, antwortete Doris ruhig, und Paula wünschte, sie hätte geschwiegen.
»Simon ist bei mir richtig aufgeblüht, weil er gemerkt hat, daß er geliebt wird!«
»Ach«, fauchte Paula, »du weißt also, ob ich Simon liebe oder nicht, ja?«
»Sicher liebst du ihn«, höhnte Doris, »als nettes, kleines Accessoire, für das man Komplimente einheimst. Aber hast du jemals Zeit für ihn? Du bist dir ja bereits zu schade, mit ihm zu spielen, zu basteln oder zu malen. Das ist dir intellektuell nicht anspruchsvoll genug! Lieber liest Madame den Spiegel oder ein gutes Buch!«
Paula trank einen großen Schluck und rang um Beherrschung. Doris’ Anschuldigungen bohrten sich wie spitze Pfeile in ihr Fleisch. »Das mag teilweise zutreffen«, räumte sie denn ein, »aber meine Unzulänglichkeit gibt dir noch lange nicht das Recht, mir einen falschen Mord unterzuschieben. Kannst du dir vorstellen, was ich die ganze Zeit durchgemacht habe?«
»Ich, ich, ich«, stieß Doris hervor, »natürlich, Paula das Seelchen, die Sensible! Aber daß andere Leute auch Gefühle haben, das kam dir nie in den Sinn, was? Du wußtest genau, wie sehr ich Simon mag. Ich mußte etwas unternehmen, um nicht länger von deinen Launen abhängig zu sein!«
»Meinen Launen?«
»Ja, deinen Launen. Wenn gerade viel Arbeit in der Redaktion war oder dir andere Dinge wichtig schienen, dann war ich recht, dann durfte Simon zu mir. Aber in den Ferien oder an Feiertagen oder wenn deine heilige Tante Lilli aufkreuzte, dann wurde ich wie ein Besen in die Ecke gestellt. Du und deine Tante, ihr denkt wohl, ihr könnt alles mit einem machen, was?«
Paulas Verteidigung drückte sich in Stummheit aus.
»Du bist doch bloß ihr Schatten, ein Abziehbild von ihr, merkst du das gar nicht? Sie hält dich hier wie ein verzogenes Schoßhündchen.«
In Paula machte sich die Gewißheit breit, daß sie an irgendeinem Punkt die Kontrolle über dieses Gespräch verloren hatte. Sie befand sich eindeutig in der Defensive, dabei war sie doch die Anklägerin, sie war doch auf der richtigen Seite!
Deshalb kam sie nun rasch auf Doris’ Vergehen zu sprechen: »Was du bei der Schönhaar auf das Band gesprochen hast – das wolltest du genauso durchziehen, nicht wahr? Erst hast du Klaus zur Klage überredet, damit du ein Druckmittel gegen mich in der Hand hast, stimmt’s? Und dann dieser Vito-Schwindel: ›Denk an das Jugendamt, denk an Simon!‹ Aber als die Sache durch den Vorfall mit Bosenkow an Dynamik gewann, mußtest du die Schönhaar irgendwie stoppen. Oh, die Idee mit dem Band war sehr raffiniert, Kompliment. Im Prozeß wolltest du Klaus auflaufen lassen und für mich aussagen, nicht wahr? Danach hättet ihr, du und die Schönhaar, mir in aller Ruhe Simon weggenommen, durch irgendwelche neuen Lügen und Verleumdungen, ist es so?«
Doris’ Mund lächelte, ihre Augen blieben hart. »Kluges Mädchen.«
Paula verspürte plötzlich eine große Gleichgültigkeit. Sie wollte nur noch alleine sein, endlich in Frieden gelassen werden.
»Es wäre ein Glück für Simon gewesen, wenn das geklappt hätte«, hörte sie Doris sagen.
Paula gab sich einen Ruck. »Natürlich«, flötete sie, »Doris Körner, die beste aller Mütter. Die ihr Kind in eine niedliche Traumwelt einpackt, so wie sie nur in ihren niedlichen, pastellfarbenen Kinderbüchern existiert.« Ihre Stimme wurde wieder nüchtern, als sie sagte: »Kein Wunder, daß Max sich dagegen gewehrt hat.«
»Paula, hör auf!« Es klang warnend, Paula beachtete es nicht.
»Für dich sind Kinder doch bloß ein Mittel, mit dem du deine eigene verkorkste Kindheit ungeschehen machen willst!«
»Du mußt
Weitere Kostenlose Bücher