Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
aufgefallen, Zolt dagegen kannte man dort nicht.
»He, Jäckle! Mach bitte nicht so ein unfreundliches Gesicht beim Essen! Das ist ja geschäftsschädigend.«
»Kümmere dich um deinen Dreck, Otto!«
»Tu ich ja.«
»Kann ich mal telefonieren?«
»Von mir aus. Aber beschwer dich nachher nicht, wenn das Essen kalt geworden ist.«
»Das war es von Anfang an.«
Bei Paula meldete sich niemand, obwohl er es lange läuten ließ. Sie würde doch mit dem Kind nicht so spät nach Hause kommen? Und warum war die Körner nicht da, wo sie doch angeblich bei Paula wohnte?
»Otto, zahlen!«
»Hat’s geschmeckt?«
»Es langt, um die Verdauung in Gang zu halten.«
»Jäckle, es reicht langsam! Können wir das mit den Forellen nicht endlich vergessen und begraben?«
»Einen Kognak. Doppelt.«
»Sehr wohl, der Herr.«
Der Alkohol tat gut. Jäckle gönnte sich gleich noch einen Doppelten, dann stieg er in sein Auto und fuhr die kurze Strecke nach Hause. Es war erst Viertel nach zehn, aber er fühlte sich völlig ausgelaugt.
»Bitte anschnallen«, hauchte die Schlafzimmerstimme.
»Halt’s Maul!« Wütend krachte seine Faust auf die Armaturen.
»Check control. Alle Funktionen in Ordnung. Check control. Alle Funktionen in Ordnung. Check …«
»Gar nichts ist in Ordnung!« brüllte Jäckle.
»… Funktionen in Ordnung …«, schnurrte es sanft, wie eine hängengebliebene Schallplatte.
Jäckle war zu müde zum Streiten und lenkte ein: »Gut, wenn du meinst. Alles ist in bester Ordnung.«
»Bitte Ölstand prüfen.«
» Du kannst mich mal! «
Jäckle, was ist mit dir los? Du fährst angetrunken durch die Stadt, und das nicht zum ersten Mal, und jetzt sprichst du schon mit deinem Auto.
Vor seinem Haus stellte er seufzend den Motor ab. Sein Schädel brummte. Wahrscheinlich war es ein Kognak zuwenig gewesen.
»Waschwasserstand kontrollieren!«
»Jaja, Waschwischwasch.«
Die Tür klappte zu, und das Auto verstummte, er ächzte die Stufen hinauf und suchte eine Weile nach seinem Hausschlüssel. Nervös blinkte das grüne Lämpchen seines Anrufbeantworters. Ohne den Mantel auszuziehen drückte Jäckle die Wiedergabetaste.
»Paula«, murmelte er vor sich hin. Er wußte, daß sie es haßte, auf Anrufbeantworter zu sprechen. Warum also tat sie es doch, noch dazu, wo sie eigentlich immer noch wütend auf ihn war? Es mußte dringend sein, auch wenn es sich nicht danach anhörte. Er wählte ihre Nummer, aber wieder nahm niemand ab. Jäckle verfluchte sein Abendessen im »Löwen« und verließ eilig das Haus.
Die Einwände seines Wagens ignorierend hielt er vor der Villa. Einen kurzen Moment sah er zum Haus der Körner hinüber. Alles dunkel. Er lief die Einfahrt entlang auf Paulas Haus zu, der Ostermond war eine schmale, scharfe Sichel, die wenig Helligkeit spendete. Es brannte keine Außenbeleuchtung, die Fenster waren schwarze Vierecke. War sie schon schlafen gegangen, sollte er umkehren? Zögernd verlangsamte er seine Schritte. Irgendwie kam ihm das dunkle Haus verändert vor. Lag es an den geschlossenen Fensterläden, die das Haus abweisend aussehen ließen, als hätte es seine Augen zu? Warum waren sie alle zu? Paula war sonst in diesen Dingen eher nachlässig, sie war nicht der ängstliche Typ. Nur ganz oben, unter dem Giebel, stand ein Fenster sperrangelweit offen, eines, das sonst nie offen war. War da ein Zimmer? Nein, soweit er das Haus kannte, war das der Dachboden. Hatte Paula vergessen, dieses Fenster zu schließen, während sie gleichzeitig alle anderen fest verriegelt hatte? Unwahrscheinlich. Sein Blick glitt an der Fassade hinunter, und auf einmal wußte er, was anders war. Diese Pflanze war nicht mehr da. Die immense, zwei Meter dicke Schlingpflanze, wie hieß sie doch gleich … Knöterich! Der Knöterich, der sich unterhalb der Fenster des ersten Stockwerks fast um das ganze Haus wand, er fehlte. Das heißt, er war schon noch da. Aber er hing viel weiter unten als sonst, etwa auf Höhe der unteren Fenster. Es sah bizarr aus, als sei ein Wirbelsturm hineingefahren. Wollte Paula etwa alleine dieses Ungetüm niedermachen, und das jetzt, wo bald wieder Grünfinken und Amseln darin nisten würden, wie ihm Simon stolz erzählt hatte? Nein, es sah viel eher so aus, als hätte eine sehr schwere Person versucht, an der Pflanze hochzuklettern. Während er sich der Terrasse näherte, starrte er so angestrengt auf das herabhängende Astgewirr, daß er nicht aufpaßte, wohin er trat, und beinahe wäre er über
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