Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
kühle Luft ein. Sie tat ihr gut. Gegen Abend waren schwere Regenwolken aufgezogen, Dunkelheit lag bleiern über der Landschaft, ein Vogel schrie. Paula fröstelte, sie schloß die Tür.
Im Kühlschrank fand sie eine angebrochene, mit einem Vakuumkorken verschlossene Flasche Chianti, noch halbvoll. Sie roch daran und probierte. Er war in Ordnung. Sie nahm die Flasche mit, setzte sich vor den kalten Kamin und zwang sich zur Ruhe. Was würde Doris als nächstes tun? Was, wenn sie nicht kam? Was, wenn sie kam?
Sie leerte ihr Glas, stand auf und sperrte die Haustür von innen ab. Das Schloß hatte sie natürlich noch immer nicht auswechseln lassen, typisch. Sie ließ den Schlüssel stecken. Sie spürte, wie ihr unbändiger Zorn einer leisen, unterschwelligen Unruhe wich. Sollte sie Jäckle anrufen, damit er herkäme? Sie war noch immer ein wenig sauer auf ihn, auch wenn sie inzwischen geneigt war, ihm zu glauben, daß er eigentlich Doris Körner bespitzeln lassen wollte und daß ihm an den Exkursen seines Faktotums ganz und gar nicht gelegen war. Sie wählte Jäckles Nummer, es klingelte lange, dann meldete sich der Anrufbeantworter. Sie überwand sich und sprach in unbefangenem Tonfall auf das Band: »Hallo, hier ist Paula. Ich bin wieder da, vielleicht schaust du mal vorbei, wenn du Lust hast.«
Sie hatte kaum aufgelegt, da klingelte es an der Tür. Zweimal kurz. Obwohl sie damit gerechnet hatte, erschrak sie bis in die Zehenspitzen. Leise hob sie die Klappe am Briefschlitz hoch, Blautöne füllten die Öffnung. Ihre Batikbluse, vor Jahren aus Griechenland mitgebracht.
»Paula? Mach die Tür auf, ich muß mit dir reden!«
Sie antwortete nicht.
»Paula, sei nicht kindisch. Können wir nicht reden wie zwei erwachsene Menschen?«
Schweigen. Wieder Klingeln.
»Nimm deine Sachen und verschwinde«, flüsterte Paula hinter der Tür, aber sie war sicher, daß Doris es trotzdem verstand.
»Hast du Angst, mir in die Augen zu sehen?« kam es spöttisch von draußen.
Paula ging auf diese Provokation nicht ein.
»Paula«, drängte Doris, »laß diese alberne Ziererei.«
Sie war im Begriff, sich zurückzuziehen, zu verkriechen, da hörte sie Doris fragen: »Wird Simon nicht traurig sein, wenn er Anton nicht mehr sieht?«
Paula zögerte.
›Ich sehe ja ein, daß du wütend auf mich bist. Aber wollen wir uns nicht wenigstens in Ruhe darüber einig werden, was mit dem Hund geschehen soll?«
»Gut.« Paula drehte den Schlüssel herum. Es war nicht nur wegen des Hundes. In dem Moment, als sie die Tür öffnete, gestand Paula sich ein, daß sie selbst es war, die auf eine Aussprache mit Doris geradezu brannte, obwohl es vielleicht nicht das Klügste war. Nicht, daß es einen Weg zur Aussöhnung gegeben hätte, aber Paula war auf eigenartige Weise fasziniert von Doris und ihren verrückten und doch so intelligenten Handlungen. Paula wollte wissen, was in Doris vorging.
Doris trat ein, als sei nichts geschehen, dann zeigte sie durch die Haustür auf die zwei Müllsäcke mit ihren Kleidern. Möglich, daß Paula absichtlich ein wenig nachlässig zu Werke gegangen war, jedenfalls würde Doris jedes Stück frisch bügeln müssen.
»Ich hätte nicht gedacht, daß du deinen Zorn an Kleidungsstücken ausläßt«, sagte Doris spöttisch und ließ die Tür ins Schloß fallen. Paula antwortete nicht, und Doris folgte ihr ins Wohnzimmer. Paula wies ihr das Sofa zu, obwohl Doris längst den Sessel zu ihrem Lieblingsplatz erkoren hatte. Das Sofa war der Platz für Besucher, und genau da gehörte sie hin. Es ist zwar reichlich kindisch, dachte Paula, als sie sich setzte und Wein einschenkte, aber die Dinge haben sich geändert, auch in solchen Kleinigkeiten. Sie bot Doris kein Glas an, die Zeiten gemütlicher Plauschereien waren endgültig vorbei.
»Wieviel willst du für den Hund?« steuerte Paula direkt auf das vordergründige Ziel zu.
Doris zuckte die Achseln. »Nichts. Du kannst ihn haben.«
Paula war alarmiert. »Wann?« fragte sie voller Argwohn. »Mir egal. Morgen früh.«
»Du willst nichts dafür? Du machst doch nie etwas umsonst.«
Als Doris schwieg, brach es aus Paula heraus: »Warum hast du das mit Vito gemacht? Warum hast du mich bei Klaus angeschwärzt? Warum, Doris?«
»Wegen Simon natürlich.«
»Aber Doris«, sagte Paula fassungslos, »er ist doch mein Kind.«
»Ja«, zischte Doris, und ihre Augen wurden katzenhaft schmal, »ein Kind, das du weder verstehst noch verdienst! Dir ist doch alles andere wichtiger als
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