Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
Acrylpullovers, der ihren kurzen, kompakten Körper stramm wie eine Wursthaut einschnürte, bebte im Rhythmus ihrer Erregung. Sie wohnte mit ihrem Mann, der vierjährigen Tochter Christina und einem Baby nur ein paar Hausnummern von Paula entfernt, in einem von diesen unverschämt winzigen Reihenhäuschen, mit einem handtuchgroßen Garten davor.
»Der Mann ist aus Rußland«, sagte Paula so ruhig sie konnte, »und es ist keinesfalls erwiesen …«
»Ein Sittenstrolch ist er, ein Kindsmörder!« Das war Ilona Seibt, Jungbäuerin. Paula konnte den Hof von ihrem Schlafzimmerfenster aus sehen. Drei Jahre hintereinander war sie Maikönigin gewesen, die hübscheste, die man je hatte, und mit zwanzig heiratete sie den größten Bauern am Ort. Drei Jahre hintereinander gebar sie Kinder, von einem Ehemann, der seiner Familie im Suff ebenso regelmäßig wie nachdrücklich klarmachte, wer Herr im Hause war, wodurch vom einstigen Maiköniginnen-Liebreiz nicht mehr viel übrig war. Wider besseres Wissen versuchte es Paula mit Sachlichkeit: »Man sollte keine voreiligen Schlüsse ziehen. Die Beweisaufnahme dauert …«
»Beweisaufnahme«, höhnte Sabine Aschenbach, eine zierliche Rothaarige, die eben mit ihrer Tochter Lena zu der Ansammlung gestoßen war. Lena war, wie stets, herausgeputzt wie eine Barbiepuppe, mit blaßrosa Schleifchen im Blondhaar und blaßrosa lackierten Fingernägelchen. Frau Aschenbach nähte die Kleidchen für sich und ihre Tochter stets aus dem gleichen Stoff, pink oder lila, so daß Mutter und Kind herumliefen wie zwei Bonbons. »Das gescheite Geschwätz nützt dem Max jetzt auch nichts mehr.«
»Der liebe Gott wird sie schon noch dafür strafen«, verkündete die Brettschneider mit wissendem Ausdruck, »dafür, daß sie uns dieses Gesindel angeschleppt hat.«
»Ich glaube kaum, daß den lieben Gott mein Gärtner interessiert«, entgegnete Paula gereizt. Sie versuchte zügig, aber nicht zu schnell, davonzugehen. Eine stämmige Dunkelhaarige, Paula kannte sie nur vom Sehen, blieb mit einem Kinderwagen demonstrativ mitten im Weg stehen, so daß Paula schon wieder eng gegen die Wand gedrückt um sie herumgehen mußte. Warum nur waren sie heute alle gleichzeitig hier? Hatten sie sich abgesprochen, um sie vor ihr Tribunal zu stellen? Die Stimmen der Frauen überschlugen sich jetzt, vermischten sich, verfolgten sie: »… arme Frau Körner, wie fühlt man sich, wenn man schuld am Tod … so ein hübscher Bub, und jetzt so ein grausames Ende … verdient es gar nicht, so ein nettes Kind zu haben … der arme Bub, nicht einmal getauft ist er! … hockt in ihrer protzigen Villa und zieht das Geschmeiß her! Kein Wunder, daß der Mann davongelaufen ist … doch in die Großstadt ziehen, da gehören solche hin … früher hätte man so was mit der Mistgabel fortgejagt …«
Trotzig blickte Paula in die bekannten Gesichter und erschrak. Fanatischer Glanz lauerte in den Augen, die Münder waren zu schmalen Strichen verkniffen, Nasenflügel blähten sich angriffslustig. Eines wurde Paula in diesem Momentvöllig klar: Diese Frauen haßten sie, und das nicht erst seit Freitag. Der Grund war einfach zu erraten: Für sie war Paula, die von Elisabeth Schimmels Gnaden in dieser prächtigen Villa lebte, ein ständiger Stachel im Fleisch. Ein provozierendes Ärgernis, das sie tagtäglich vor Augen hatten, sogar schon morgens, wenn sie die Zeitung aufblätterten. Deshalb schlugen Paulas Artikeln beim geringsten Anlaß Wellen der Empörung entgegen, während man Schulze, Weigand und den anderen so manches nachsah.
Paula begriff: Max’ Verschwinden war nur der berühmte Tropfen im übervollen Faß aus Neid und Mißgunst, und sie selbst hatte durchaus ihren Teil beigetragen, das Faß zu füllen. Ihr wurde schwindlig. Die Gesichter verwandelten sich in eine einzige rosige Masse mit tausend Augen und klaffenden schwarzen Mundhöhlen. Sie ging schneller. Noch nie war der Flur so lang gewesen. Etwas Nasses traf Paula im Gesicht, um ein Haar hätte sie aufgeschrien. Aber den Triumph wollte sie ihnen nicht gönnen. Mit dem Ärmel ihrer Jacke wischte sie die Spucke so gut es ging weg. Endlich, die Tür. Sie riß so heftig am Griff, daß sie krachend gegen die Wand schlug und der Verputz herabrieselte. Ihr Blick fiel dabei auf den hölzernen Heiland, der über dem Türstock hing und seine entfesselten Schäflein stumm anlitt.
Teils befriedigt, teil verärgert, las Frau Schönhaar den Artikel des Stadtkuriers bereits zum
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