Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
antwortete: »Ich denke schon. Wir hatten nie ein besonders inniges Verhältnis, ich war immer ein Papakind, ich liebte ihn sehr, trotz …«
»Trotz was?«
»Ach, nichts. Anfangs sollte es ja nur für ein halbes Jahr oder höchstens ein Jahr sein.«
»Danach wolltest du bestimmt nicht mehr zurück.«
»Natürlich nicht. Meine Mutter hat das Arrangement von sich aus von Jahr zu Jahr verlängert. Als ich fünfzehn war, hat Lilli ihren Maurice geheiratet – übrigens der einzige Mann in ihrem Leben, der älter war als sie –, und wir sind zu ihm nach Frankreich gezogen, in die Nähe von Paris. Ich habe ab und zu brav nach Berlin geschrieben, aber wenn ich meine Familie wirklich mal besuchte, kam ich mir vor wie eine entfernte Verwandte.«
»Lilli muß dich sehr geliebt haben. Ich meine, was sie alles für dich getan hat, obwohl du gar nicht ihre richtige Tochter bist.«
Paula zögerte mit der Antwort. Es hatte eine Zeit gegeben, als rebellische Studentin, da hatte Paula Lilli beinahe gehaßt, für die Dankbarkeit, die diese nie von ihr verlangt hatte. Inzwischen war sie abgeklärter, hatte eingesehen, daß es keinen Grund gab, Lilli zu hassen, im Gegenteil.
»Sie tut noch immer eine Menge für mich. Nicht nur finanziell. Aber wir waren nie wie Mutter und Tochter, eher wie … Verbündete.«
»Und dieser Maurice?«
»Ein ganz ruhiger Mann. Das Gegenstück zu Lilli. Er war Musiker, spielte Cello. Er mochte mich sehr und wollte immer, daß ich Schauspielerin werde, so wie seine angebetete Lilli. Aber Lilli sagte, ich solle werden, was ich will, und Schauspielerin wäre das letzte, was sie mir empfehlen würde.«
»Siehst du deine Mutter noch manchmal?«
»Kaum. Wir sind uns fremd geworden. Aber ich glaube nicht, daß sie darunter leidet. Sie hat ja meine Brüder, ihre erzlangweiligen Schwiegertöchter und ihre Enkelinnen. Ich würde da sowieso nicht hineinpassen. Es ist, als ob ich mir im nachhinein die Familie ausgesucht hätte, die ich gerne haben wollte und die zu mir paßt.«
»Ja«, seufzte Doris, »das ist schön, wenn man das kann.« Ein kurzes Schweigen trat ein. Paula erinnerte sich an das wenige, was Doris über ihr Elternhaus erzählt hatte: Der Fleischgroßhandel warf eine Menge Geld ab, stand jedoch immer im Ruch des Gewöhnlichen, zumal Doris’ Vater tatsächlich wie ein Metzgermeister aussah. Deshalb umgab sich ihre Mutter vorzugsweise mit Akademikern und Künstlern. Doris bekam Klavier-, Zeichen-, Reit- und alle möglichen anderen Stunden, das einzige Kind sollte eine Art höhere Tochter werden. Aber Doris floh vor diesen Zwängen in sogenannte »schlechte Gesellschaft«. Ein Jahr vor dem Abitur schmiß sie das Gymnasium, tauschte ihr rosa Mädchenzimmer im protzigen elterlichen Bungalow bei Augsburg gegen ein Loch in einer obskuren WG in München, von wo aus sie sich erst einmal in eine Orgie der Promiskuität stürzte. Sie begann eine Lehre als Arzthelferin, wurde rausgeschmissen, aus Gründen, über die sie schwieg, und jobbte herum, bis sie Jürgen kennenlernte. Mit ihm kam Doris von dem herunter, was ihr Vater als schiefe Bahn bezeichnete. Sie heiratete mit allem Drum und Dran und versöhnte sich mit ihren Eltern, was hieß, daß sie sie am Muttertag und zu Weihnachten besuchte. Doris stellte plötzlich fest, daß sie sich nichts so sehr wünschte wie eine eigene Familie, in der es heiter und liebevoll zuging. Aber es dauerte lange, bis sich Nachwuchs einstellte, und auch dann war Max nicht unbedingt der Enkel, den man seiner Mutter stolz präsentieren konnte. Als Doris sich in einem schwachen Moment bei ihrer Mutter über ihn beschwerte, meinte diese hämisch, Doris habe nur bekommen, was sie verdiene, und sie prophezeite, daß »du mit dieseln. Früchtchen ebensoviel Ärger haben wirst, wie wir mit dir hatten«.
Unvermittelt platzte Doris in Paulas Gedanken: »Du hast sicher gehört, daß Jürgen gar nicht in Saudi-Arabien ist.«
»Allerdings«, gab Paula zu, von der unerwarteten Offenheit überrascht. »Vom Jäckle. Er dachte, ich wüßte Bescheid.«
»Ihr habt über mich gesprochen?« fragte Doris lauernd. Paula wurde verlegen. »Nicht viel«, sagte sie und sah die Freundin vorwurfsvoll an. »Offenbar weiß er sowieso mehr als ich.«
»Sei nicht beleidigt«, bat Doris, »ich wollte es dir erzählen, schon oft, aber dann …«, sie brach mit einer hilflosen Geste ab, Tränen glitzerten zwischen ihren Wimpern, Paula wußte nicht, was sie sagen sollte.
»Ich hatte keine
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