Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
mehr … gib’s mir … tiefer …jaah!« Katharina schrak bei Paulas Eintreten zusammen. Lächelnd knipste Paula den Bildschirm aus, auf dem sich nackte menschliche Leiber wie Brezeln ineinander verknotet hatten.
»Wir haben zu Hause kein Kabelfernsehen«, erklärte Katharina, und Paula entschuldigte ihr spätes Kommen, aber Katharina schien das nichts auszumachen. »Zu Hause bin ich eh meistens die letzte, die ins Bett geht. Der Simon war heute sehr brav. Er schläft, ich war ab und zu bei ihm.« Sie sprach ›Simon‹ mit Betonung auf der ersten Silbe aus, wie fast alle Leute hier, während Paula die französische Variante bevorzugte.
»Wenn der mal eingeschlafen ist, dann weckt ihn nichts mehr. Komm, ich bringe dich jetzt nach Hause.«
»Nicht nötig, ich bin mit dem Rad.« Paula bezahlte sie und begleitete sie bis ans Tor, wo sich Katharina auf ihr Zweitausend-Mark-Gerät schwang. Gerne hätte Paula sie deswegen gefragt, aber sie wußte nicht, wie sie es anstellen sollte, schließlich wollte sie es nicht mit ihrer eben zurückeroberten Babysitterin verderben. Wer weiß, wie lange sie diesen Job noch ausüben würde, man sah sie jetzt öfter mit Jungs im Stadtpark herumalbern, sichere Anzeichen, daß sie bald andere Interessen haben würde, als kleinen Kindern Geschichten vorzulesen.
Das Mädchen fuhr los, leise klickten die Gänge, das rote Rücklicht verglomm in der Dunkelheit. Dann war die Straße leer und still. Paula stand noch ein paar Augenblicke am Tor. Von den Frauen war nichts zu sehen. Langsam ging sie durch den stillen Garten zurück ins Haus. Sie ertappte sich bei dem Wunsch, seine Gestalt möge irgendwo zwischen den alten Bäumen auftauchen.
Sie wußte nicht warum, aber drinnen lief sie sofort hinauf in Simons Zimmer. Wie zu erwarten gewesen war, schlief er, sein Atem ging gleichmäßig, die Lider flatterten wie Schmetterlingsflügel, er träumte. Ein schlafendes Kind ist das Rührendste, was es gibt, dachte Paula, und in ihrem Innern zog sich etwas zusammen. Sogar Max muß im Schlaf wie ein Engel ausgesehen haben. Sie fühlte plötzlich Tränen aufsteigen. Sie wischte sie fort, gab Simon einen Kuß auf die Stirn und strich ihm über sein Haar. Vor seiner Geburt hatte sie sich nie vorstellen können, jemals so tief für ein Wesen empfinden zu können. Manchmal, in Augenblicken wie diesen, tat es schon beinahe weh.
Katharina hatte vergessen, die Fensterläden zu schließen. Es war zwar nicht unbedingt nötig, während dieser dunklen Jahreszeit, aber Paula bildete sich ein, Simon würde sich bei geschlossenen Läden geborgener fühlen. Sein Fenster ging nach hinten hinaus, zum See, dem Wald und den Schrebergärten. Paula nahm ein Rudel Stofftiere vom Fensterbrett und angelte eben nach dem Laden, als sie den Feuerschein in den Schrebergärten sah, der sich in giftiger Helligkeit vom Nachthimmel abhob.
Zwei Stunden später klopfte es an der Tür.
»Ich wollte nicht klingeln, wegen Simon«, sagte Jäckle. Paula war über sein Erscheinen nicht überrascht, obwohl sie eher mit einem Anruf gerechnet hatte.
»Und?« fragte sie angstvoll.
»Nicht weiter tragisch. Er hat ein paar Brandwunden, sie haben ihn dabehalten, aber er wird wohl morgen wieder entlassen. Der Bauwagen ist restlos zerstört, eine Gasflasche muß explodiert sein. Er hatte ein Riesenglück, daß er noch rechtzeitig rauskam.«
Paulas Hände zitterten wie Grashalme, als sie ihm Tee eingoß. Wortlos stellte sie die Rumflasche daneben, und Jäckle griff dankbar danach.
»Hat er gesehen, wer’s war?«
»Er sagt, nein. Aber er redet nicht gerne mit der Polizei. Mit seiner Mutter hat er gesprochen, sie tauchte auf einmal im Krankenhaus auf. Hast du sie angerufen?« Paula nickte. Jäckles Augen sahen müde aus.
»Vielleicht versuche ich es morgen noch mal.«
»Das brauchst du gar nicht«, platzte Paula heraus. »Ich weiß, wer das getan hat.« Paula erzählte vom Elternabend und der verdächtigen Harmonie, die dort geherrscht hatte, von den Frauen. die wie ein Pulk Soldaten die Straße hinaufmarschiert waren; dann legte sie den Kopf auf den Tisch und fing an zu weinen, ob vor Wut oder Erleichterung, wußte sie selbst nicht. Jäckle strich ihr ein wenig hilflos übers Haar, das sich weicher anfühlte, als es aussah. Nach einer Weile schneuzte und entschuldigte sich Paula.
»Tut mir leid. Ich benehme mich wie eine hysterische Gans.«
»Macht nichts. Was du da auffährst, sind schwere Geschütze. Ich werde der Sache nachgehen, aber
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