Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
Zimmer, zum Aufräumen.
»Damit es sauber ist, wenn deine Katharina endlich wieder einmal kommt«, machte sie ihm die ungeliebte Tätigkeit schmackhaft, »sonst trifft sie gleich der Schlag, bei dem Verhau.«
»Sie trifft der Schlag, sie trifft der Schlag«, sang Simon, dem dieser neue Ausdruck gefiel.
Es hatte einige Überredungskünste gebraucht, um Katharina Lampert wieder zum Babysitten zu bewegen. Paula hatte den vagen Eindruck, Katharina fühlte sich für das, was mit Max geschehen war, mitverantwortlich. Seltsam, was in so einem jungen Mädchen für Gedanken vorgingen.
»Aber du hilfst mir«, verlangte Simon im Hinausgehen.
»Ich mache die Küche sauber und komme dann«, versprach Paula, was im Klartext hieß, daß sie das Zimmer aufräumen würde und Simon mehr oder weniger zusah. Seufzend ordnete sie die Teller in die Spülmaschine und wischte Tisch und Herd ab. Der Wasserhahn tropfte schon seit Monaten, und aus dem Filter des Dunstabzugs quoll gelbes Fett. Irgendwie, fand Paula, machte ihre Küche, ja das ganze Haus, immer nur den Eindruck höchst oberflächlicher Sauberkeit. Auch mit dem Einkaufen und den Vorräten klappte es nie hundertprozentig. Häufig mußte sie improvisieren oder ging mit Simon ins Restaurant, weil einfach keine Zeit zum Einkaufen gewesen war. Und wie oft schon hatte sie kurz vor dem Ausgehen eine Bluse aus dem Wäscheberg ziehen müssen, die dann hastig gebügelt wurde, weil sonst absolut nichts Tragbares mehr im Schrank hing. Wie machte das Doris nur? Obwohl sie angeblich den ganzen Vormittag an ihren Büchern schrieb und zeichnete, funktionierte ihr Haushalt so reibungslos und zuverlässig wie das Sonnensystem. Aber schrieb sie überhaupt noch? Sonst erzählte sie gelegentlich von ihren Ideen, zeigte Paula Bilder und holte ihr Urteil ein. In letzter Zeit war das nicht mehr geschehen.
Paula fegte den gröbsten Schmutz vom Küchenboden, dann ging sie nach oben, um den Fortgang der Aufräumarbeiten zu begutachten. Als sie Simons Zimmertür öffnete, war sie es, die der Schlag traf: Es war natürlich nicht aufgeräumt worden, und mitten zwischen Stofftieren, Legosteinen und den Gleisen der Holzeisenbahn stand – Max.
Kolja Bosenkow war todmüde, denn heute hatte er ein Grab ausgeschaufelt, mit der Hand. Schaufel für Schaufel schwarze, feuchte, schwere Erde.
Nachdem er aus dem Untersuchungsgefängnis entlassen worden war, hatte es geheißen, es sei momentan keine Arbeit für ihn da. Doch gestern hatte eine Dame von der Stadt bei seiner Mutter angerufen und ihm ausrichten lassen, er möge bitte zum Friedhof kommen, er würde dringend gebraucht. Morgen sollte es eine Beerdigung geben, der Totengräber sei krank, und der Minibagger, mit dem diese Arbeit normalerweise erledigt wurde, sei zur Reparatur. Bosenkow war gekommen. Es war das erste Mal seit seiner Entlassung, daß er sich wieder in der Stadt zeigte. Auf dem Friedhof war er alleine gewesen, doch auf dem Heimweg durch die Siedlung hatte er die Blicke hinter den Gardinen bis unter die Haut gespürt. Vom Zaun der Villa aus sah er ein freundliches Licht aus dem Küchenfenster durch die Bäume schimmern. Rasch ging er weiter.
In seinem Wagen plumpste er auf das Bett, öffnete eine Dose Bier und leerte sie in einem Zug. Er kippte einen Schluck Kognak aus der Flasche hinterher. Jetzt wollte er erst einmal schlafen, ein paar Stunden, bis Mitternacht vielleicht, weil er jeden seiner Muskeln einzeln spürte. Dann würde er wieder seine Gänge aufnehmen. Seine Kontrollgänge. Beobachten, wie die Menschen hinter den hellen Fenstern langsam die Gläser leerten, die Fernseher abstellten, noch mal kurz nach ihren schlafenden Kindern sahen und dann von Zimmer zu Zimmer die Lichter löschten.
Schlafende Kinder. Die Frau im alten Haus – er nannte sie auch jetzt noch so, allein das Denken ihres Namens verursachte ihm Schwindel und das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun – ging meistens spät zu Bett. Manchmal drang Musik heraus, er hatte sich vorgestellt, wie er mit ihr dazu tanzen würde, während er hinaufblickte zu dem dunklen Fenster, hinter dem der kleine Junge mit den lachenden Augen in seinem Bett lag. Er malte sich dann jedes Mal aus, wie sie ihn sanft aufs Haar küßte und fest zudeckte, ehe sie selbst zu Bett ging.
Kolja Bosenkow war nicht der Spanner, für den die Leute in der Siedlung ihn hielten. Das dumpfe Gestoße in ihren muffigen Ehebetten interessierte ihn nicht. Er war ein Wächter. Ein Wächter über die schlafenden
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