Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
Schlüssel zweimal im Schloß herumgedreht wurde.
Jäckle nahm Paulas Hinweis wegen der Brandstiftung durchaus ernst. Er erinnerte sich an die empörten Leserbriefe in der Zeitung, an wütende Anrufe von Müttern auf der Dienststelle und sogar bei ihm zu Hause, nachdem die Freilassung Bosenkows bekannt geworden war. Nachträglich verwünschte er die beiden Kollegen vom LKA, die den Leuten durch ihr unsensibles Vorgehen diesen Floh ins Ohr gesetzt hatten. Je länger er sich mit dem Fall auseinandersetzte, desto sicherer wurde Jäckle in seiner Ansicht, daß Bosenkow unschuldig war. Ein kleiner Rest von Zweifeln blieb allerdings.
Er schlüpfte in seinen Mantel.
»Ich fahre jetzt in die Siedlung. Bin gegen zwölf zurück«, sagte er zu Frau Gebhart. »Der Hofer soll mit dem Experten von der Feuerwehr zur Brandstelle fahren.« Er überlegte, ob er zwei uniformierte Kollegen bitten sollte, ihn zu begleiten, als optisches Druckmittel sozusagen. Sie könnten ja ab und zu mit den Handschellen rasseln, dachte er und grinste in sich hinein. Schließlich verzichtete er darauf. Ein langsames Vortasten würde sicher mehr bringen. Er parkte den Dienstwagen vor dem Reihenhaus der Frau, die Paula als ›die Übelste von allen‹ bezeichnet hatte. Eine rosa Kinderkarre stand unter dem überdachten Eingang, sie war leer. Im Vorgarten herrschte peinliche Ordnung, die zwei Stufen zur Haustür waren bis in den letzten Winkel gefegt, und auch drinnen tobte bereits der Kampf für die Reinlichkeit: Annemarie Brettschneider saugte Staub, und Jäckle mußte viermal klingeln, ehe ihm die Tür geöffnet wurde.
Sie hatte rote Wangen, schwer zu sagen, ob vom Saubermachen oder von seinem Anblick. »Ja, bitte?«
»Guten Morgen, Frau Brettschneider. Dürfte ich wohl einen Augenblick reinkommen?«
Sie nickte, bat ihn herein und entschuldigte sich wortreich für den unaufgeräumten Zustand des Wohnzimmers – außer dem Staubsauger war jedes Ding an seinem Platz, die adrett aufgereihten Sofakissen hatten in der Mitte einen Knick, die Blätter der Zimmerpflanzen glänzten wie geleckt, aber wahrscheinlich rieb sie sie nur regelmäßig mit Dunkelbier ab. Sie bat ihn in die Küche. Er setzte sich auf die gepolsterte Eckbank aus heller Eiche, neben die blankgescheuerte Nirosta-Spüle. Annemarie Brettschneider ließ sich zögernd auf der Kante eines Küchenstuhls nieder, so als sei sie hier zu Besuch. »Worum geht es? Ist etwas passiert mit meinem Mann … oder der Kleinen?« fragte sie. Jäckle amüsierte sich heimlich über das Theater. Eine besorgte Ehefrau und Mutter, die sich erst für eine saubere Wohnung entschuldigt? Obwohl auch das schon vorgekommen war. Einmal hatte er die traurige Pflicht gehabt, einer Frau vom Unfalltod ihres Mannes zu berichten. Die Frau hatte sich die Nachricht schreckensbleich angehört und dann ihn und seinen Kollegen mit den Worten: »Kommen Sie doch ins Wohnzimmer, aber ziehen Sie bitte die Schuhe aus, ich habe eben feucht gewischt«, hereingebeten.
»Gestern abend hat es einen Brand gegeben, hier im Wald. Sie haben sicher schon davon gehört?«
»Ja«, nickte sie. »Heute früh im Kindergarten.«
»Haben Sie gestern nacht, so gegen zwölf, etwas bemerkt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Da war ich schon im Bett. Nur die Feuerwehr, die habe ich so im Halbschlaf gehört.«
»Gestern war doch ein Elternabend im Kindergarten. Waren Sie da?«
»Natürlich. Aber wir sind kurz nach elf gegangen.«
»Wer wir?«
»Also, ich und die meisten anderen Frauen.«
»Sind einige länger geblieben?«
»Nein. Wir waren die letzten. Bis auf die Kindergärtnerinnen natürlich. Die haben noch die Tassen abgewaschen. Es gab Glühwein und Plätzchen.«
»Wer ist früher gegangen?«
»Moment mal … die Frau Braun, die ist schon kurz nach zehn gegangen. Und die Nickel.« Der letzte Name schien einen schlechten Beigeschmack hinterlassen zu haben, denn sie verzog die Lippen.
»Sind Sie und die anderen Damen alle sofort nach Hause gegangen?«
Frau Brettschneider zögerte.
»Na?«
»Ja, also … ein paar Damen waren noch kurz hier, bei mir.«
»Wer alles?«
»Die Frau Seibt, die Frau Aschenbach, Frau Renner und Frau Straub«, kam es prompt. »Ach ja, und Frau Greininger.«
»Wie lange waren sie bei Ihnen? Es war doch schon spät, als sie aus dem Kindergarten kamen, oder?«
»Ja, doch. Aber wir wollten noch einen Schluck Wein bei uns trinken. Auf dem Nachhauseweg ist uns die Idee gekommen.
»Auf dem Nachhauseweg, soso. Aber
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