Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
früh hatte er den schweren eisernen Deckel vom Auslaufrohr gewuchtet, und das Wasser war sofort in den Bach geströmt. Demnach hätte der Weiher jetzt, am frühen Nachmittag, schon erheblich leerer sein müssen. Es sei denn, das Rohr war verstopft. Fluchend fuhr er nach Hause, holte seine Anglerstiefel und stieg in den Bach, um nachzusehen, ob sich etwa Äste oder Schlamm im Rohr verfangen hätten. Mit einem langen Stock stieß er in das gähnende Dunkel. Ein übler, faulig-süßlicher Geruch stieg ihm in die Nase. Er spürte Widerstand, irgend etwas Weiches, Nachgiebiges. Vielleicht ein Klumpen Schlamm oder eine tote Bisamratte. Hartnäckig stocherte er im Rohr herum, aber außer ein paar kleinen Ästchen und Schlammbatzen kam nichts heraus. Das konnte es nicht gewesen sein. Erneut fluchend stieg er aus dem Bach, ging zum Auto und holte seine Stablampe.
Der Löwenwirt war kein sehr empfindlicher Mensch. Dazu hatten unter anderem ein paar eindrucksvolle Kriegserlebnisse beigetragen, mit deren detailgenauer Wiedergabe er hin und wieder, zu vorgerückter Stunde, allzu bierselige Stammgäste aus dem Lokal trieb. Aber was Xaver Wurm jetzt im Lichtkegel seiner Stablampe sah, bewirkte, daß er mit einem erstickten Schrei aus dem Bach sprang und sich am nächstbesten Baum das Mittagessen aus dem Leib kotzte.
»War das nötig«, zischte Staatsanwalt Monz und sah Jäckle über seine schicke Designer-Halbglasbrille hinweg streng an.
Jäckle nickte. »Die Körner hat kein Alibi. Sie war in der Skigymnastik, danach einen trinken, aber so gegen elf zu Hause, allein. Das Feuer ist kurz vor zwölf ausgebrochen.«
»Na und?« fragte Monz gereizt. »Haben Sie ein Alibi für die Zeit, habe ich eins?«
»Sie hat ein Motiv. Immerhin stand der Mann unter Verdacht, ihren Sohn ermordet zu haben. Die Leute in der Siedlung sind dank der heimischen Medien nach wie vor fest überzeugt, daß er es war.«
Monz schüttelte den Kopf. »Die Frau ist nicht der Typ dafür. Sie selbst hat nie zu den Gerüchten Stellung genommen. Sie hat sich immer sehr vernünftig verhalten. Bemerkenswert vernünftig sogar.«
»Eben«, sagte Jäckle, »eben!«
»Damit kommen wir beim Haftrichter nie durch.«
»Wahrscheinlich nicht. Aber ein paar Stunden würde ich sie gerne dabehalten. Vielleicht wird sie mürbe. Es geht nicht nur um den Russen. Ich bin fest überzeugt, sie hat ihr Kind auf dem Gewissen.«
»Jäckle! Wie kommen Sie bloß auf den Bolzen? Die Frau ist gänzlich unbescholten, sie ist als fabelhafte Mutter bekannt und hat ein grundsolides Alibi. Was glauben Sie, wie uns die Presse die Hölle heiß machen wird? Verdammt noch mal, Jäckle, die Frau ist Kinderbuchautorin !«
» Wenn schon.«
Monz beugte sich so nahe zu Jäckle herüber, daß dieser seinen scharfen Pfefferminzatem, in dem noch ein leiser Hauch Jack Daniels mitschwang, deutlich riechen konnte. »Jäckle, wissen Sie, wer ihr Anwalt ist?« Ohne die Antwort abzuwarten, verdrehte er die Augen zur Decke und sagte, jede Silbe einzeln betonend: »Ber-to-la-mi! Der Bertolami.« Eine Kunstpause sollte die Nennung dieses Namens wirken lassen, aber falls er Jäckle beeindruckte, so konnte der das gut verbergen.
»Nicht, daß ich ihn fürchte«, wehrte Monz ab, »verstehen wir uns da nicht falsch. Aber wir dürfen uns keine, auch nicht die geringste Unkorrektheit erlauben, sonst finden wir uns in Teufels Küche wieder!«
»Ich erlaube mir keine Unkorrektheiten.«
»So war das nicht gemeint. Wo ist sie jetzt überhaupt?«
»In der Zelle«, knirschte Jäckle.
»Wie bitte?«
»Der Hofer ist gerade mit dem Mann von der Feuerwehr und der Spurensicherung an der Brandstelle. Und bis die nicht zurück sind, lasse ich sie auf gar keinen Fall laufen.«
»Jäckle, ich sag’ Ihnen was …« Das Telefon auf Monzens tadellos aufgeräumtem Schreibtisch begann sanft zu schnurren.
»Für Sie«, sagte Monz nach ein paar Sekunden grimmig. Jäckle nahm den Hörer. Die Stimme am anderen Ende war so aufgeregt, daß Jäckle seinen alten Anglerkameraden Xaver Wurm beinahe nicht erkannt hätte.
Zum ersten Mal sah Paula ihren Kollegen Schulze mit einem Gesicht so grün wie verschimmeltes Brot vor ihrem Schreibtisch stehen. Mit fahrigen Bewegungen bettete er seine Kamera in ihr Etui und ließ sich dann auf einen Stuhl plumpsen, sein rotgefuchster Schnäuzer bebte.
»Kaffee«, schnaufte er. »Mit ’nem Dreifachen drin.« Paula erfüllte sein verwirrter Anblick mit Schadenfreude. Wenn er mal für ein paar
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