Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
hinter die Theke und murmelte immerzu: »Aber, aber«, Gitta rückte lautstark mit ihrem Stuhl zurück und hielt sich die Hände vors Gesicht, als fürchtete sie noch mehr fliegende Gegenstände. Die Hühnchen hatten ängstlich die Köpfe einzogen. So hatten sie sich Theaterarbeit nicht vorgestellt. Frank Mückel versicherte ihnen fortwährend, wie eine hängengebliebene Schallplatte, daß es bei ihnen nicht immer so zuginge, wirklich nicht, wobei seine Hand beruhigend Jessicas Lockenpracht tätschelte. Doris war sitzen geblieben und verfolgte das Geschehen mit distanzierter Aufmerksamkeit.
Vito goß noch einen Schuß Öl ins Feuer, er bleckte sein Reklamegebiß zu einer Art Lächeln und sagte leise: »Oh, es tut mir leid, Paula. Wußte nicht, daß das dein wunder Punkt ist …«
»Halt jetzt endlich die Schnauze, Vito!« Siggi wurde laut, die anderen ruhig, bis auf Paula.
»Paß bloß auf, daß du mir heute nicht mehr in die Quere kommst«, zischte sie über den Tisch hinweg.
»Ach?« fragte Vito zurück, »was passiert dann? Willst du mich umbringen?«
»Worauf du Gift nehmen kannst«, antwortete Paula, noch immer bebend vor Zorn.
» Ruhe! Ruhe, verdammt noch mal.« Es kam selten vor, daß Siggi Fuchs schrie. Sein Gesichtsausdruck war der eines wütenden Pavianmännchens. »Vito, halt’s Maul, oder geh raus!« Vito hob die Hände, eine Geste, als sei er nur durch Zufall in diesen Tumult hineingeraten. Etwas weniger lautstark machte Siggi seine Position deutlich: »Ich allein entscheide hier, wer was mit wem spielt. Und alles, was ihr dazu sagen könnt, ist ja oder nein. Ist das klar?« Er musterte seine Truppe wie einen Rekrutenhaufen beim Morgenappell. Es wurde tatsächlich auffallend still.
»Na also.« Siggi grinste. »Paula, dein Ausbruch eben bestätigt mich in meiner Wahl, dich die Maggie spielen zu lassen. Wir könnten es natürlich auch mit Virginia Woolf versuchen.« Alle lachten erleichtert, sogar Paula brachte ein dankbares Lächeln zustande. Sie verbarg ihre zitternden Hände unter dem Tisch und vermied es, zu Vito hinüberzusehen.
An diesem Abend blieb die Rollenverteilung offen. Man sprach nur noch über Aufführungstermine und Bühnenausstattung, Siggi Fuchs verteilte die Textbücher, und nach und nach verließen die Mitglieder des Bachgassen-Theaters den Probenraum. Paula und Doris waren die letzten, da Doris angeboten hatte, den Tisch abzuräumen und die Tassen zu spülen. Paula half ihr, sie hatte es eilig. Katharina mußte nach Hause, morgen war Schule.
»Laß stehen«, sagte sie zu Doris, »die trocknen von selber.« Sie löschten die Lichter und schlossen ab. Auf dem Hof begann Paula zunehmend hektischer in ihrer Handtasche zu wühlen.
»Ich verstehe das nicht. Wo ist bloß der Autoschlüssel?«
»Hast du ihn drin gelassen?« fragte Doris.
»Eigentlich ist er immer in meiner Tasche.« Paula schüttete den Inhalt auf die Kühlerhaube. »Mist, ist das dunkel.«
»Hier.« Doris beleuchtete die verstreuten Utensilien mit einem Feuerzeug. Kein Autoschlüssel. »Und in deiner Jacke?«
»Auch nicht. Ich geh’ noch mal rein. Vielleicht ist er rausgefallen, als … der Stuhl umfiel. Mensch, für heute reicht’s mir aber.«
»Soll ich mit?«« fragte Doris, aber Paula war schon an der Tür. Sie schloß auf und knipste das Licht an. Der Probenraum befand sich unter der Bühne und war fast genauso groß. Die bröseligen Wände waren mit schwarzen Tüchern verhüllt. Auf der Bühne selbst wurde erst später geprobt, wenn die wichtigsten Bühnenbauten fertig waren.
Im Probenraum fand sie das Schlüsselbund nicht. Paula überlegte. War sie im Requisitenraum gewesen? Ja, gleich am Anfang, um die Videokamera zu begutachten. Der Requisitenraum war ein einziges Chaos. Kulissen, Requisiten, technische Ausrüstung und allerlei Krempel lagerten dort, seit Jahren schon plante man vergebens einen Wochenendeinsatz, um das verstaubte Durcheinander zu sortieren und zu entrümpeln. Ein unbestimmtes Angstgefühl ließ Paula zögern. Noch nie war sie alleine da drin gewesen, schon gar nicht bei Nacht. Sollte sie nicht lieber Doris bitten, ihr zu helfen? Unsinn, sagte sie sich entschlossen, schließlich war sie kein kleines Kind mehr. Sie nahm die zwei Stufen und öffnete die Tür. Nie vorher war ihr aufgefallen, wie laut sie quietschte. Ein Streifen Licht durchschnitt den dunklen Raum, und Paula stieß vor Entsetzen einen röchelnden Laut aus. Gelbleuchtende Schlitzaugen funkelten sie an, grünlich quoll
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