Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
einen jahrelangen erbitterten Kampf ausgefochten. Günther Schubert, ein ruhiger, arbeitsamer Pensionär, der für Technik und Bühnenbau verantwortlich war, erklärte ihnen stolz die Details. Und es flatterten auch schon die neuen Hühnchen herum. Regelmäßig zu Beginn jeder Saison schossen sie aus dem Boden wie die Krokusse im Frühjahr, überzeugt, hier das Sprungbrett zu einer glänzenden Bühnenlaufbahn zu betreten. Kaum eine besaß genug Durchhaltevermögen, um länger als ein Jahr bei der Stange zu bleiben, aber der Nachschub blieb niemals aus. Die diesjährigen Hühnchen hießen Jessica und Daniela, wobei jetzt schon klar war, daß Jessica früher oder später an Vitos schwarzbehaarter Brust landen würde, denn sie war groß, blondlockig bis hinab zu ihrem strammen kleinen Hintern und besuchte eine Kosmetikschule. Daniela schied klar aus, sie war stämmig, dunkelhaarig und hatte Abitur.
»Na endlich«, knurrte Siggi Fuchs, als Paula und Doris an dem großen runden Tisch Platz genommen hatten. »Dann kann’s ja losgehen.«
»Vito fehlt.« Barbara blickte unruhig zur Uhr, es war schon nach halb neun.
»Auf den warten wir nicht«, sagte Siggi bestimmt. »Wenn er jetzt schon zu spät kommt, kann er uns gleich gestohlen bleiben.«
Zu Paulas Bedauern ging in diesem Moment die Tür auf, und Vito hatte seinen Auftritt. Sein Gesicht – manche Frauen mochten es anziehend finden, Paula fand es zu glatt und nichtssagend – zeigte einen gehetzten Ausdruck, als käme er geradewegs aus einer Aufsichtsratssitzung, mit einem kleinen Zwischenstop im Sonnenstudio. Wie immer trug er seinen windigen schwarzen Aktenkoffer, aus der Tasche seines modisch zerknitterten Leinenblazers lugte ein Handy.
»Sorry folks«, meinte er mit reuigem Hundeblick, »kein Parkplatz.« Paula verdrehte die Augen und unterdrückte den Impuls, ihn zu fragen, ob es sich bei dem Handy um eine Attrappe handelte.
»Im Hinterhof ist doch genug Platz«, wies ihn Barbara zurecht. Vito schnippte ein unsichtbares Staubkorn von der Sitzfläche des letzten freien Stuhls, durch einen puren Zufall war es der neben Barbara, und ließ sich breitbeinig darauf nieder.
»Da steht er jetzt auch. Aber wohl ist mir dabei nicht, es ist da so dunkel, kein Mensch sieht, wenn er geklaut wird.«
»Er« war sein BMW-Cabrio. Paula hätte am liebsten den Platz gewechselt, denn jetzt saß dieser Mensch ihr genau gegenüber, so daß sie ihn andauernd im Blickfeld hatte.
»So einen gräßlich aufgemotzten Kübel klaut höchstens ein entarteter Mantafahrer«, murmelte Paula Doris zu, gerade noch so laut, daß jeder es hören konnte. Paula nahm sich jedes Mal vor, Vito einfach zu ignorieren. Jedesmal blieb es beim Vorsatz.
»Wem gehört denn der affenscharfe Alfa Spider da draußen?« fragte er interessiert und musterte dabei Jessica, die ihm hungrig zulächelte.
›,Mir gehört der«, sagte Paula.
»Tatsächlich?« Er zog verwundert seine schwarzgefärbten Brauen hoch. »Hätte ich dir gar nicht zugetraut.« Verärgert stellte Paula fest, daß sie sich über Vitos Bemerkung wider alle Vernunft aufregte. Man traut mir offenbar gar nichts zu, dachte sie gekränkt. Kein nettes Kind, kein schickes Auto … Sie versank in mißmutige Grübeleien, während Siggi Fuchs über die Pannen der vergangenen Saison schimpfte, und klinkte sich erst wieder geistig ein, als auch Siggi in der Gegenwart angekommen war: »Mein Vorschlag für das neue Stück lautet«, er legte eine spannungssteigernde Pause ein, »Tennessee Williams: Die Katze auf dem heißen Blechdach. Kennt jeder das Stück?«
Alle nickten, aber niemand sagte ein Wort, nur Gitta murmelte etwas von einem alten Hut. Siggi zwirbelte abwartend seinen Vanillebart, Paula äugte verstohlen zu Barbara hinüber. Das darf nicht wahr sein, dachte sie halb entsetzt, halb belustigt. Die Maggie im Stück ist eine junge Ehefrau! Kannte Barbara denn überhaupt keine Schamgrenzen mehr? Oder war Siggi seinen Job diesmal endgültig leid?
»Das ist keine schlechte Idee«, hörte sie zu ihrer Verblüffung Barbara sagen, »das wäre eine Möglichkeit für unsere Nachwuchstalente.« Sie sah in die Runde, ohne jemand bestimmten anzublicken. Goldlöckchen bekam einen langen Hals.
»Nachdem wir einen Krimi gespielt haben und niemand von uns schon wieder einen Klassiker haben wollte, fände ich so ein altbewährtes Boulevardstück nicht schlecht«, fuhr Siggi fort, während Paula sich noch immer über Barbara wunderte. Das mußten die beiden
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