Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
Temperament unter einer äußerlich spröden …«
»Spar dir den Schwulst.«
Siggi überging Paulas Einwurf: »Die Leute haben bei diesem Stück unweigerlich die junge Liz Taylor im Hinterkopf. Irgendwie erwartet man so einen Typ auf der Bühne, glaubt mir, das ist nun mal so. Paula, bitte, überleg dir das noch mal, du wärst wirklich meine Wunschbesetzung. Ansonsten weiß ich nicht, ob ich das Stück überhaupt mache.«
»Das ist Erpressung«, rief Paula, aber ein klein wenig fühlte sie sich doch geschmeichelt. Mit Liz Taylor, der jungen Liz Taylor, hatte sie noch niemand verglichen. Sie lenkte ein: »Es kommt immer noch drauf an, wer Maggies Ehemann spielt. Diesen Brick, den gescheiterten Footballspieler, der säuft. Oder war es Baseball?«
»Football«, erklärte Barbara schnell. »Ich denke, dafür käme Vito in Frage.«
Bevor Paula ihr entschiedenes »Nein« loswerden konnte, sprang Vito von seinem Sitz auf. »Was? Ich? Mit ihr? Das ist doch wohl nicht euer Ernst!«
»Vito, reiß dich zusammen«, mahnte Siggi.
Vito riß sich nicht zusammen. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem verächtlichen Grinsen. »Da kommen sicher Liebesszenen vor, oder? Sag«, er wandte sich direkt an Paula, »weißt du überhaupt, wie so was geht?«
»Was soll das?« fuhr Barbara scharf dazwischen. Obwohl sie ihr Alter gerne etwas herunterspielte, betrachtete sie sich doch als eine Art Mutter dieser Truppe, und als solche konnte sie es nicht dulden, daß sich einer ihrer Zöglinge so danebenbenahm. Etwas ruhiger erklärte sie: »Es gibt keine Liebesszenen. Bis auf den Schluß streiten sich die zwei andauernd, das würde gut passen.«
Vito widersprach: »Sie ist viel zu alt für mich. Sie könnte ja fast meine Mutter sein, ich mache mich doch nicht lächerlich!«
Paula fühlte das Blut in den Kopf schießen. Sie verstand nicht, was mit Vito los war. Bis jetzt hatte sich ihre gegenseitige Abneigung höchstens in bissigen kleinen Bemerkungen ausgedrückt, manchmal war es fast eine Art Spiel gewesen. Nun dieser plumpe, häßliche Frontalangriff.
»Was bildest du dir eigentlich ein!« fauchte sie, und es sah einen Moment so aus, als wollte sie ihm quer über die Tischplatte an die Gurgel springen. »Denkst du, ich würde mit dir spielen? Niemals!«
»Paula, bitte«, mahnte Barbara mit Blick auf die verschreckten Hühnchen.
Aber Vito wollte es offenbar wissen: »Glaubst du wirklich, du könntest diese Margaret spielen? Diese Frau hat nämlich jede Menge Sex-Appeal. Falls dir’s noch keiner gesagt hat – du wirkst ungefähr so sexy wie ein Gummistiefel.«
Paula wollte ihm etwas Geistreiches, Vernichtendes entgegnen, aber sie unterlag ihrer alten Schwäche. Wenn man sie über ein gewisses Maß hinaus reizte, verlor sie die Beherrschung. Mit den Jahren war es ihr gelungen, diese Grenze höher und höher zu schrauben, aber Vito hatte sie nun erreicht. Wie eine Furie schoß sie von ihrem Stuhl hoch, der hinter ihr zu Boden krachte. Paula kümmerte es nicht, sie brüllte Vito an: »Du bist nicht nur ein schmieriger kleiner Scheißer, du bist auch ein miserabler Schauspieler! Du kommst doch bloß hierher, um billig an einen Aufriß zu kommen!«
Er preßte ein affektiertes Kichern hervor, das sich wie Raucherhusten anhörte: »Haha, Paula Nickel und Liz Taylor, so ein Witz! Die Taylor war alles andere als frigide. Und sie war auch nicht verrückt.«
Es war nicht, wie die meisten im Raum vermuteten, das Wort »frigide«, das Paula endgültig in Rage brachte. Paula wußte um den Ruf, der ihr nachhing, seit sie einmal erklärt hatte, Sex sei etwas für Kaninchen und Teenager.
Es war das andere Wort. Sie ergriff ihre leere Kaffeetasse und schleuderte sie in seine Richtung. Natürlich verfehlte sie ihn. Er lachte, ein dreckiges, meckerndes Lachen, während blitzartig Bewegung in die Versammlung kam: Barbara, die das Wurfgeschoß an der Schulter gestreift hatte, schnellte mit einem Schrei hoch, Gudrun eilte herbei und begann auf Vito einzureden, der jedoch betont gelassen sitzen blieb, den linken Fuß auf dem rechten Knie, die Daumen hinter seinen geflochtenen Gürtel geklemmt. Paula schickte sich an, um den Tisch herumzugehen und Vito zu ohrfeigen.
Mit eisernem Griff hielt Siggi sie fest. »Beruhige dich, das ist er doch nicht wert«, knirschte er Paula ins Ohr, während Dieter König vergeblich um Ruhe bat und Günther Schubert auf seinen kurzen, krummen Dackelbeinen in den Requisitenraum flüchtete.
Erich Grabitzke verzog sich
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