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Mordsmöwen

Mordsmöwen

Titel: Mordsmöwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sine Beerwald
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hätte Grey seine wahre Freude dran. Ich muss schlucken, bei dem Gedanken, den Jungen vielleicht nie wieder zu sehen. Aber noch gebe ich die Hoffnung nicht auf.
    Harry flattert zu dem riesigen Kronleuchter, der von der Mitte der Decke hängt, und lässt sich auf einem der vielen Arme nieder, um sich einen Überblick zu verschaffen. Wir tun es ihm gleich – wobei »wir« mal wieder etwas zu weit gegriffen ist. Genau genommen greift unser Scheff zu weit. Ob die Thunfischdose oder unser Scheff zuerst vorne am Altar aufknallt, vermag ich anhand des Geräusches nicht eindeutig zu sagen. Aber bei dem Sturz kann sich Baron Silver de Luft alle Flügel und Füße gebrochen haben.
    »Oh nein, nein, nein«, jammert unser Scheff.
    Ich fliege sofort zu ihm runter. »Wo tut’s weh, Scheff?«
    Er guckt mich verwirrt an, und so richtig fixieren kann er mich auch nicht. Immerhin kann er sich selbst aufrappeln. Er streckt zuerst ein Bein, dann das andere und zuletzt die Flügel. Alles funktioniert. Trotzdem jammert er weiter.
    »Mein Helm, das gute Erbstück, total verbeult. Schaut doch mal, damit kann ich mich nirgendwo mehr blicken lassen. Und das alles nur wegen deines ungezogenen Sohnes, Harry!«
    Der Angesprochene stößt sich vom Kronleuchter ab, der gefährlich ins Wanken gerät, und landet wutentbrannt neben uns.
    »Daran soll mein Sohn schuld sein? Im Blindflug durch die Gegend eiern und sich dann über einen Absturz beschweren, das haben wir gern. Der große Scheff ist ja niemals selbst schuld.«
    »Wir können das gleich hier an Ort und Stelle klären, falls du Zweifel daran hast, dass ich der Scheff bin.«
    »Oh ja, die habe ich. Was hat denn der Scheff gemacht, als mein ach so ungezogener Sohn heute Morgen abgehauen ist, während ich uns Brötchen erbeutet habe? Gepennt hat er, der große Scheff, obwohl er sich selbst zum Wachdienst eingeteilt hat. Weil wir angeblich die Gurkentruppe sind!«
    »Das seid ihr auch. Und natürlich hättest du deinem Sohn die Flausen aus dem Gefieder zupfen müssen, dafür bin ich nicht zuständig.«
    Die beiden umkreisen sich wie zwei Kampfhähne.
    »Könnt ihr vielleicht normal miteinander sprechen?«, frage ich. Gleichzeitig weiß ich, dass unser Harry nicht der Typ für gepflegten Meinungsaustausch ist. Er geht nicht mit seiner Meinung zum Scheff, um mit dessen Meinung zurückzukommen. Und ich weiß, dass es für mich besser ist, jetzt in Deckung zu gehen, denn die beiden sind bereits dabei, beim Drohschreiten imaginäre Dünengräser aus dem Boden zu rupfen – und das verheißt nichts Gutes.
    Tatsächlich kann ich mich gerade noch rechtzeitig in Sicherheit bringen, als auch schon die ersten Federn fliegen. In der Sorge um seinen Sohn ist Harry nicht mehr zurechnungsfähig. Und noch weniger kann er mit der Schuldzuweisung umgehen, nicht auf ihn aufgepasst zu haben. Das könnte ich in seiner Situation wohl auch nicht, aber ich würde zunächst weiter nach meinem Sohn suchen, bis ich Gewissheit hätte. Harry jedoch befürchtet bereits das Schlimmste, und damit diese Befürchtung nicht allzu schnell Wahrheit wird, hält er sich mit diesem sinnlosen Kampf auf.
    Das Gewitter ist abgezogen, und der Regen hat nachgelassen, als ich aus der Kirche trete. Es nieselt noch leicht, aber der Wind treibt die grauen Wolken auseinander, und vereinzelt bricht die Sonne durch. Auf dem Dorfteich schwimmen schon wieder ein paar Enten. Es wäre die perfekte Idylle, wenn da nicht die Sorge um Grey wäre.
    Die Sonnenstrahlen treffen auf den Spielplatz, der mit Friesenkapelle und Dorfteich ein Dreieck bildet. In der Schutzhütte beim Spielplatz könnte er sich untergestellt haben, denke ich und sehe nach. Doch leider ist er da nicht. Der Spielplatz wäre aber ganz nach Greys Geschmack. Eine Schaukel zum Weitflugüben, ein Klettergerüst zum Wetthüpfen und eine Rutsche für den Sturzflug mit Schanze. Hach, was haben wir das früher gern gemacht. Einen Moment lang juckt es mich in den Flügeln, aber nachdem ich Grey auch auf dem Spielplatz nirgends entdecke, wird mir ganz anders zumute. Es wird doch nicht wahr werden, was nicht wahr sein darf?
    Ich trotte um den Spielplatz herum und komme über eine Wiese wieder zurück zur Friesenkapelle. Das Gekreische von dort drinnen klingt alles andere als besinnlich und schon gar nicht nach einem Ende des Kampfes. Ich bin gespannt, was morgen wieder über uns in der Zeitung stehen wird. Nach dem morgendlichen Gewitter wagen sich die ersten Spaziergänger auf die Straße

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