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Mordsmöwen

Mordsmöwen

Titel: Mordsmöwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sine Beerwald
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und pilgern zum Bäcker. Eine Frau mit Einkaufstasche schaut ganz irritiert zur Kapelle rüber, aber offenkundig funktioniert das Geräuschortungssystem dieses Weibchens nicht so gut wie bei uns Möwen, denn sie schaut in den Himmel. Wenn mein Scheff und Harry so weitermachen, dauert es aber sicher nicht lange, bis ein Mensch auf die Idee kommt, in der Kapelle nachzusehen.
    Zum Beispiel jener Mann dort, der sich in dem kleinen Holzunterstand nahe der Kapelle in Lauerstellung bringt. Ich weiß, worauf er wartet, auch wenn ich den Sinn der Sache wohl nie begreifen werde: Er wartet auf andere Menschen, die ihm diese unverdaulichen Münzen aushändigen – nur damit sie sich durch einen der beiden möwenbreiten Eingänge ins Innere des Denghoogs quetschen dürfen, eines grasbewachsenen Hügels, in dem es nichts weiter gibt als einen höhlenartigen Raum.
    Dem Mann erscheint das Möwengeschrei aus der Friesenkapelle tatsächlich seltsam, und er verlässt seinen Posten, um nachzusehen. Der wird sein weißgefiedertes Wunder erleben – zwei Kampfmöwen in der Kirche. Aber so, wie der Mann aussieht, wird er nicht lange fackeln und meine Kumpels an die frische Luft setzen. Ich halte mich da mal fein raus. Schließlich will ich mein schönes Federkleid für Suzette behalten. Suzette … was sie jetzt gerade wohl macht? In den vergangenen Stunden musste ich weniger an sie denken, aber jetzt steht sie mir wieder vor Augen, mit allem Herzschmerz. Ich will nicht, dass mir diese Bilder wieder in den Kopf kommen, sie tun es trotzdem. Wenn die Suche nach Grey nicht wäre, könnte ich den Drang, nach Kampen zu fliegen, kaum mehr unterdrücken.
    In der Kapelle wird es schlagartig ruhig. Dafür höre ich jetzt etwas aus dem Denghoog. Gedämpfte Rufe einer Möwe, seltsam gepresste Laute, und trotzdem erkenne ich eindeutig Greys Jungmöwenstimme. Es klingt, als wäre ihm der Schnabel zugeklebt. Ein Gedanke kommt mir in den Sinn. Heiliger Albatros – Grey wurde gekidnappt! Und jetzt? Schnelles Handeln ist angesagt, solange der Mann mit meinen Kumpels beschäftigt ist.
    Zuletzt bin ich mit meiner zweiten Brutpartnerin nachts durch das Gitter geschlüpft, das den Kriechgang vor den Menschen verschließt, solange sie nicht bezahlt haben. Meine Freundin hatte sich diesen Ort allerdings etwas romantischer vorgestellt, und ich muss wieder an ihr Geschimpfe denken, sich hier bloß die Federn schmutzig zu machen, als ich jetzt durch den matschigen Gang gehe.
    Was für banale Sorgen ich damals hatte, angesichts von Greys Hilferufen jetzt. Ich taste mich langsam und leise voran. Was wird mich am Ende des Ganges erwarten? Dort, wo sich tonnenschwere Felsblöcke zu einer erdfeuchten Kammer aufspannen? Von oben ist sie durch einen zusätzlichen, etwas bequemeren Treppeneinstieg für die Menschen zugänglich. Was, wenn Grey sich in der Hand eines solchen Menschen befindet? Wer weiß schon, ob es wahr ist, dass Menschen wirklich nur Enten und Gänse essen und keine Möwen? Was, wenn an den Schauergeschichten unserer Großväter doch etwas dran ist? Mein Herz klopft so stark, dass mir die Federn am Brustkorb vibrieren. Es ist dunkel, kaum etwas ist zu erkennen. Nur wenig Licht reicht von draußen bis in die Kammer. Jetzt hätte ich doch gerne Harry an meiner Seite, und für einen kurzen Moment denke ich darüber nach, umzukehren. Aber die Hilferufe von Grey klingen so erbärmlich.
    Unvermittelt bleibe ich stehen. Ich sehe ihn. Oder vielmehr seinen Hintern. Etwa zwei Möwenlängen über mir steckt er, Schnabel voran, in einer der Felsspalten. Mit Füßen und Flügeln stemmt er sich an den glatten Felsblöcken ab und versucht, den Schnabel aus der Klemme zu ziehen. Dabei gibt er diese schauerlichen Laute von sich.
    »Grey, was machst du denn da?«
    »Scheisch Frage. Tschillen. Isch’n neuer Trend.«
    Ich lege den Kopf schräg und versuche, die Situation einzuschätzen. Vom Boden aus komme ich nicht an ihn dran. Also hänge ich mich an seine Flügel, um ihn mit meinem eigenen Gewicht nach unten zu ziehen.
    Whumm. Okay, der Aufprall auf mein Hinterteil war ziemlich hart, aber endlich mal wieder eine Mission, die geklappt hat. Nur – wo ist Grey? Oh, okay, der hängt immer noch da oben, weil ich nur von ihm abgerutscht bin. Kleiner Fehler im System, kann ja mal passieren. Beim zweiten Versuch klappt es. Grey sitzt neben mir auf dem Boden und weiß nicht, ob er sich zuerst den schmerzenden Schnabel oder den Hintern reiben soll. Aber glaubt einer, die

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