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Mordspech (German Edition)

Mordspech (German Edition)

Titel: Mordspech (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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dadurch, dass auch das Ziel auf die Straße gelaufen war, um Bilder zu machen. Ein kleiner Lokalreporter, der sich lautstark auf die Pressefreiheit berief, als ihn die Polizisten beiseitedrängen wollten. Tante Tilly ging dazwischen.
    »Ich kümmere mich um den Mann. Machen Sie Ihre Arbeit! – Sind Sie akkreditierter Journalist?«, wandte sie sich an ihr Ziel.
    »Ich berichte für die Mopo. Ich habe ein Recht …«
    »Sicher haben Sie das«, beschwichtigte ihn Tante Tilly, »das will Ihnen auch niemand nehmen. Nur, um herauszufinden, was hier gerade passiert ist, müssen die Beamten erst mal ermitteln. Sie können sich später gern an die Pressestelle des Berliner Landeskriminalamtes wenden. Oder aber …« Bis hierhin hatte sie ihn erfolgreich zur Haustür zurückgedrängt. »… Sie halten sich vorerst an mich.«
    »Wieso? Wat wissen Sie denn?«
    »Im Zweifel mehr als Sie. – Gehen wir?«
    Danach ließ er sie in sein Büro, was sein Todesurteil war. Denn kaum hatte Tante Tilly die Tür der kleinen Ladenwohnung hinter sich geschlossen, zog sie den Würger hervor. Eine kleine, sehr effektive Drahtschlinge, die sie sich selbst gebastelt hatte. Mit breiten Lederriemen als Griff, um besser zuziehen zu können. Wem Tante Tilly diese Schlinge hinterrücks erst mal umgelegt hatte, der war verloren. Der dünne Draht schnitt sich sofort tief ins Fleisch. Die Angegriffenen fassten sich daher immer an den Hals, anstatt sich effektiv zu verteidigen. Dazu ein kräftiger Stoß mit dem Knie in den Rücken des Ziels, damit es zu Boden ging. So kam dann auch die Schwerkraft zum Tragen, und die Sache war erledigt.
    Diesmal stieß Tante Tilly das Ziel in Richtung Klo, denn das lag günstig direkt gegenüber der Eingangstür, somit blieben die Wege kurz. Es hat keinen Sinn, um ihr Überleben kämpfende Ziele noch kreuz und quer durch die Wohnung zu schleifen. Je kürzer die Wege, desto weniger Spuren.
    Spuren waren fatal. Immer. Das Problem im Zeitalter der DNA -Analyse war, dass man fast immer welche hinterließ. Deshalb bevorzugte Tante Tilly Distanzlösungen. Die waren sauber. Das Mittel Drahtschlinge war es nicht. Deshalb reinigte Tante Tilly Klo und Flur bis zur Wohnungstür mit äußerster Sorgfalt.
    Als sie nach gut einer Stunde wieder vors Haus trat, liefen die Ermittlungen schon auf Hochtouren. In weiße Overalls gehüllte Spurensicherer krochen mit Pinzetten auf dem Fußweg herum, zwei Gerichtsmediziner untersuchten die Leiche des Fahrradkuriers, und ein erschreckend übergewichtiger Kriminalkommissar führte das große Wort.
    Aber die waren mit sich beschäftigt. Tante Tilly entkam unerkannt. Eine ältere Dame bringt niemand mit einem erschossenen Fahrradboten in Verbindung. Es hat große Vorteile, eine Frau zu sein. Vor allem in diesem Geschäft.
    »Sind Sie noch dran?« Der Auftraggeber klang ungehalten.
    »Ja«, antwortete Tante Tilly knapp und beobachtete die Straße. Wegen des starken Regens war kaum jemand unterwegs. Nur ein paar Taxis zogen, Wasserfahnen hinter sich herziehend, über den Kurfürstendamm.
    »Ihr nächstes Ziel ist der Informant«, sagte der Auftraggeber, »mit dem sich Kawelka heute Morgen im ›Four Roses‹ treffen wollte. Ich gebe Ihnen kurz die Daten. Schreiben Sie mit?«
    Natürlich schrieb Tante Tilly nicht mit. Sie behielt die Details im Kopf. Sich Dinge aufzuschreiben konnte in ihrem Beruf sehr verhängnisvoll sein.
    »Schießen Sie los!«
    »Der Mann hat keine Gewohnheiten«, erklärte der Auftraggeber.
    Das machte die Sache schwierig, denn normalerweise studierte Tante Tilly die Gewohnheiten ihrer Ziele immer sehr genau. Dieses Ziel aber sollte selten am selben Ort schlafen, unregelmäßig aufstehen und keinen geregelten Tagesablauf haben. Momentan halte es sich im dritten Stock eines fünfgeschossigen Altbaus in der Akazienstraße auf und habe seinen Wagen an eine unbekannte Person verliehen.
    »Sie bekommen weitere Instruktionen, wenn Sie die Zielperson tatsächlich dort ausgemacht haben, verstanden?«
    »Verstanden«, sagte Tante Tilly. »Ich melde mich wieder.«
    Interessant, dachte sie. Ein Ziel, das schwer planbar war. Ein Profi vermutlich, der damit lebte, dass ihn irgendwer auszuschalten versuchte.
    Aber Tante Tilly war auch Profi. Und sie konnte warten.

12    ICH HATTE MICH NICHT GEIRRT : Vier wunderbar rote Rosen im Stile eines Roy Lichtenstein verzieren die nachtblau lackierten Jalousien des Etablissements in der Albertstraße. Einen Namenszug gibt es nicht. Lediglich

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