Mordspech (German Edition)
Schock, das mit dem Fahrradkurier.«
»Dieter hat’s mir erzählt.« Er sah Melanie gerührt an. »Mein Mädchen! Aber so läuft es halt in dieser wunderbaren neuen Zeit. Die Töchter werden von Radlern umgefahren, den Vätern bomben sie das Auto weg: Willkommen in der freien Welt!« Er hakte sie aufgekratzt unter. »Und jetzt sollten wir schleunigst abhauen und unser Überleben feiern.«
»Moment!« Der Arzt wedelte mit einem Formular. »Erst müssen Sie hier unterschreiben!«
»Ich unterschreibe.« Monika zückte einen Stift. »Und vielen Dank für alles, aber ich komme mit den beiden allein zurecht.«
»Dann wünsche ich viel Glück.«
»Danke.« Monika lächelte bemüht. »Das kann ich immer brauchen.«
Dann folgte sie zügig Exmann und Tochter hinaus ins Freie und zog erneut ihr Mobiltelefon hervor.
18 DIE ÜBER TAUSENDJÄHRIGE preußische Residenzstadt Potsdam liegt direkt am südwestlichen Ende von Berlin. Ortsfremde, die von der Königstraße kommen und nicht auf die Ortsschilder achten, merken meist gar nicht, dass sie die Stadt gewechselt haben. Nur die Glienicker Brücke trennt Berlin von Brandenburgs Landeshauptstadt.
Diese räumliche Nähe mag einer der Gründe gewesen sein, dass die geplante Fusion der beiden Länder im letzten Jahr vor allem am Votum der Brandenburger Bevölkerung gescheitert ist. Die stolzen Potsdamer fürchteten, von der riesigen Metropole vor ihrer Haustür kurzerhand eingemeindet zu werden und mit ihrem Land für die horrende Staatsverschuldung Berlins geradestehen zu müssen. Und noch heute trauert man in Berlin dieser einmaligen Gelegenheit, sich günstig sanieren zu können, mit Krokodilstränen nach. Die größte Baustelle der Welt wird auf Pump finanziert. Während Berlins Mitte pompös zum Regierungssitz umgebaut wird, verfallen anderswo Straßen und Plätze. Schulen müssen wegen Baufälligkeit gesperrt, Sport- und Schwimmhallen aus Geldmangel geschlossen werden.
Brandenburgs Haushalt dagegen gilt als ausgewogen, und die Landeshauptstadt Potsdam wurde zum UNESCO -Weltkulturerbe erklärt. Sie steht somit fast buchstäblich komplett unter Denkmalschutz und zieht aufgrund ihrer herrlichen Insellage zwischen malerischen Havelseen und weitläufigen Landschaftsparks immer mehr wohlhabende Bürger an. Frisch renovierte herrschaftliche Villen säumen die mondänen, von alten Lindenbäumen gesäumten Straßen und machen den preußischen Schlössern Konkurrenz. Drei Viertel der Stadt sind Bestlage. In den barocken Palais und Parks preußischer Höflinge und Mätressen wohnen jetzt Modeschöpfer wie Wolfgang Joop und Supermodels wie Nadja Auermann, die Manager von Großkonzernen und berühmte Fernsehgesichter wie Günther Jauch. Millionen Touristen pilgern jährlich in die Stadt, nicht nur, um sich Schloss Sanssouci und das Neue Palais anzusehen, die Neuen Gärten und das Schloss Cecilienhof, Belvedere, Holländisches Viertel und die Kolonie Alexandrowka, sondern vor allem auch, um mal einen Blick auf die herrlichen Häuser der Reichen zu werfen und vielleicht, dies nur ein Beispiel, einen beim Volke allseits beliebten TV -Moderator mal ganz privat in kurzer Hose beim Sonnenbaden zu erwischen.
Natürlich gibt es auch hässliche Ecken in Potsdam, DDR -typische Plattenbausiedlungen, Bausünden wie das Mercure-Hotel, heruntergekommene Holperstraßen und verfallene Russenkasernen. Hünerbein wird nicht müde, auf all die Ecken hinzuweisen, wo Potsdam noch »typisch ostig aussieht«.
»Potsdam war halt auch immer Garnisonsstadt«, antworte ich ihm, während wir durch die Innenstadt fahren, »und an diese preußische Tradition haben sich die Sowjets gehalten.«
Die Oderflut hat auch das brandenburgische Innenministerium fest im Griff. Krisenstäbe tagen rund um die Uhr, Telefone klingeln unablässig, hektische Mitarbeiter rennen herum, und es dauert, bis wir jemanden finden, der sich Zeit für zwei Beamte der Berliner Kriminalpolizei nimmt, auch wenn er uns nur rausschmeißen will.
»Sie sind hier nicht zuständig«, bellt er uns an, »Berlin ist Berlin, und Brandenburg ist Brandenburg, und das wird sich auch nicht mehr ändern!«
»Ja doch, das bezweifeln wir ja nicht«, versuche ich, ihn zu beschwichtigen. »Wir ermitteln lediglich in einem Mordfall, der möglicherweise seine Ursprünge in Ihrem schönen Land hat.«
»Na klar«, regt er sich auf, »jetzt sind wir auch noch an euren Verbrechen schuld!«
Keine Frage, der Mann hat ein echtes Berlin-Problem.
»Wir
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