Mordspech (German Edition)
bedauernd an. »Er ist in einer Krisensitzung. Das kann dauern.«
»Wo ist denn diese Krisensitzung?«
»Raum zwohundertvier. Aber da können Sie jetzt nicht rein!«
»Kommt auf einen Versuch an.«
Bevor uns die müde Mitarbeiterin folgen kann, sind wir schon die Treppe rauf.
»Zweiter Stock«, nehme ich an, weil bei Zimmernummerierungen meistens die erste Ziffer die Etage beschreibt, »und dann die vier.«
Vor einer geöffneten Doppeltür zu einer Art größerem Besprechungsraum stehen nervös rauchende Herren, einige im Anzug, die Krawattenknoten geweitet. Frauen stöckeln hektisch herum, irgendwo wird herumgebrüllt, weil eine Ladung Sandsäcke nicht dort angekommen ist, wo sie hin soll. Auffällig sind ein paar Bundeswehroffiziere, einer von ihnen steht genau vor der Nummer, die auf der Doppeltür prangt.
Ich recke den Hals. Zweihundertvier. »Hier sind wir richtig.«
»Herr Klaffke«, ruft Hünerbein laut und stiefelt geschäftig drauflos, »Herr Klaffke!« Als sich nicht sofort jemand meldet, packt er sich den ihm am nächsten Stehenden. »Entschuldigen Sie, aber ich suche den Klaffke. Es ist einigermaßen dringend.«
»Äh ja, der Herr Klaffke …« Der Angesprochene dreht sich suchend einmal um die eigene Achse, doch schon hat sich aus den Reihen der Raucher ein korpulenter, irgendwie an Mario Adorf erinnernder Vollbart gelöst und kommt auf Hünerbein zu.
»Klaffke. Und Sie sind?«
»Hünerbein«, er schüttelt ihm geschäftsmäßig die Hand, »Herr Klaffke, mir müssen dringend mit Ihnen reden. Möglichst unter vier, beziehungsweise«, Hünerbein zeigt auf mich, »sechs Augen. Das ist mein Kollege Knoop.«
»Was ist denn so wichtig?«
»Das sagen wir Ihnen gleich.« Hünerbein schnaubt ungeduldig. »Können wir?«
»Drei Minuten!« Klaffke deutet in eine Richtung. »Gehen wir in mein Büro.«
Natürlich weiß Staatssekretär Martin Klaffke auch nichts von einem Chemiewaffenbunker der Nazis im Oderbruch. Er habe noch nie davon gehört, beteuert er, während er Zigaretten herumreicht und einen Aschenbecher zwischen die Papier- und Aktenstapel auf seinen mit schwarzem Holzfurnier beklebten Schreibtisch stellt.
»Bislang wurden uns auch keine außergewöhnlichen Kontaminationen aus dem Oderbruch gemeldet. Wo soll dieser Bunker denn sein?«
Wir zeigen ihm die im L’Emigrante fotokopierte Flurstückkarte der Heeresversorgungsanstalt.
»Altgrieben, Seelow«, murmelt Klaffke nachdenklich und greift zum Telefon, um eine Nummer zu wählen.
»Ja, guten Tag, hier ist der Martin Klaffke vom MLUV . Gibt es in Altgrieben bei Seelow irgendwelche alten Bunkeranlagen, die von der Flut betroffen sind?« Er wartet einen Moment. Offenbar wird ihm eine Gegenfrage gestellt, denn er antwortet: »Ja, hier sind zwei Kriminalhauptkommissare aus Berlin. Sie ermitteln in einem Mordfall an einem Journalisten, der an einer Geschichte dran gewesen sein soll. Angeblich sind in einem Wehrmachtsbunker mit der Bezeichnung ›Waldwerk DSC ‹ während des Krieges chemische Waffen produziert worden, die dort heute immer noch lagern. – Ja, ich weiß, Journalisten sind auf Storys aus, aber dieser Mann ist tot, und deshalb dachte ich …« Martin Klaffke beginnt zu schwitzen, während der Angerufene einen längeren Monolog hält und sich nicht unterbrechen lässt. Offenbar bläst er ihm den Marsch, denn Klaffke wird immer kleiner in seinem Sitz.
»Verstehe«, sagt er nach einer kleinen Ewigkeit, »ja, ich habe verstanden. – Sie können sich ganz auf mich verlassen. – Natürlich. – In Ordnung. – Ich gebe das so weiter. Vielen Dank.« Dann legt er auf. »Tja.«
»Tja?«, frage ich.
»Also, da ist nichts.« Klaffke erhebt sich. »Gar nichts. Ihr Journalist muss einer Ente aufgesessen sein.«
»Einer Ente?« Wir bleiben demonstrativ sitzen, denn für uns ist das Gespräch noch nicht beendet. Außerdem: »Journalisten produzieren vielleicht Enten. Aber werden sie deshalb auch umgebracht?«
»Woher soll ich das wissen?« Klaffke steht schon in der Tür. »Meine Herren, ich hab jetzt wirklich zu tun.«
»Was ist denn jetzt in Altgrieben?«
»Nichts. Jedenfalls kein Chemiewaffenbunker. Das ist kompletter Nonsens. Vielleicht war da früher mal was, aber jetzt ist da nichts mehr. Ihr Journalist muss wegen etwas anderem gestorben sein.«
»Er wurde umgebracht«, betont Hünerbein. »Und das nicht ohne Grund.«
»Bestimmt nicht wegen dieses Bunkers!« Klaffke scharrt unruhig mit den Füßen. »Eines Bunkers, den
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