Mordspech (German Edition)
netten kleinen Sommergarten auf dem breiten Trottoir, hübsche Kellnerinnen servierten Eistee und die neuesten Zeitungen. Gute Bedingungen, um die Zeit totzuschlagen.
Schräg gegenüber, auf der anderen Seite des hochherrschaftlichen Platzes aus der Kaiserzeit, lag im Hochparterre eines verschwenderisch mit Stuck, marmornen Engeln und Rosetten verzierten Altbaus die Bürogemeinschaft »Albrecht, Sörensen jr. & Co.«, wo sich auch Susanne Baier mit ihrer Praxis eingemietet hatte. Meyer ließ sie nicht aus den Augen. Und als die Psychologin am frühen Nachmittag endlich Feierabend machte, war er ihr gefolgt.
Was nicht so einfach war, denn die Dipl.-Psych. fuhr sportlich mit dem Rad. Meyer hätte sie beinahe verloren, wenn nicht zufällig ein Velotaxi vorbeigekommen wäre, eine Art moderne Fahrradrikscha für Touristen, das Meyer kurzerhand kaperte.
»Folgen Sie der Radfahrerin, aber unauffällig!«
Der Velotaxifahrer kriegte sich kaum noch ein vor Lachen.
»Ich mein’s ernst, Sie Blödmann«, schnauzte Meyer, »treten Sie endlich in die Pedale!«
Es folgte eine rasante Fahrt durch die Stadt, denn die Dipl.-Psych. hielt sich als echte Großstadtradlerin natürlich weder an Vorfahrtsregeln noch an rote Ampeln. Sie kurvte zügig zwischen sich immer wieder stauenden Autos durch, kreuzte stark befahrene Kreuzungen gern diagonal und zeigte mehr als einmal Autofahrern ihren wütenden Stinkefinger.
Eine typische Kampfradlerin, dachte Meyer. Vermutlich reagiert sie mit ihrem aggressiven Fahrstil das wehleidige Gequatsche ihrer Patienten aus der Psychopraxis ab.
Das Velotaxi hatte einige Mühe, an der Dipl.-Psych. dranzubleiben. Aber Meyer spornte seinen Fahrer wechselweise mit aufmunternden Worten, »nun zeigense mal, was Sie draufhaben«, und barschen Drohungen, »wenn Sie die Tussi verlieren, gibt’s kein Geld«, zu Höchstleistungen an, und war nach etwa fünfzehn Minuten in einer ruhigen Nebenstraße am Botanischen Garten angekommen, wo die Psychologin in einem frisch renovierten, um 1900 errichteten Gartenhaus ihr Domizil hatte.
»Stör ich?« Meyer setzte den hilflosesten, mitleiderregendsten Blick auf, den er parat hatte. »Natürlich störe ich. Tut mir leid.« Gekonnt wandte er sich wieder zum Gehen, doch wie angenommen hielt ihn Susanne Baier zurück.
»Aber nein, ich bitte Sie! Kommen Sie rein!« Sie trat einen Schritt zur Seite und ließ ihn in die Wohnung.
Nett, dachte Meyer, sehr nett. Seine Augen wanderten herum, erfassten die hübschen Delfter Fliesen in der Küche, die abgezogenen Dielen und die mediterrane Farbgebung im Wohnzimmer. Helle, sandfarben gewischte Wände, eine meerblaue Sitzgarnitur, Truhen und Schränke aus gewachstem naturbelassenen Pinienholz. Wie in vielen Singlefrauenhaushalten gab es überall sorgsam drapierte Dekorationen. Altes Treibholz und bizarr verformtes Wurzelwerk zum Beispiel. Vermutlich hatte es lange im Meer getrieben, bevor es an irgendeinem fernen Strand jahrzehntelang in der Sonne blich. Jetzt lag es als Schmuck auf Susanne Baiers hell gebeizter Fensterbank. Überhaupt schien die Dipl.-Psych. ein Faible für das Maritime zu haben. Große Muscheln, in denen man das Meer rauschen hören konnte, standen in den Regalen, ein altes Holzpaddel hing frei unter der Decke und diente als Kerzenleuchter. An den Wänden sorgten ausrangierte Positionslaternen aus stumpfem Messing für dezentes Licht, und ein romantisch verwittertes Fischernetz diente als Raumteiler. Dahinter stand der private Schreibtisch der Psychologin und eine Staffelei mit einem halb fertigen Bild. Ein Sonnenuntergang vor einer flachen Küste, mit dünnen Wasserfarben wie gehaucht. Aha, registrierte Meyer, die Kampfradlerin hat ein sensibles Hobby und Geschmack.
»Setzen Sie sich doch!«
»Oh ja, danke, gern.« Meyer setzte sich in einen der blauen Sessel.
»Wollen Sie etwas trinken?« Susanne Baier stand abwartend in der Tür. »Vielleicht ein Glas Wein? Ich hab einen Sancerre im Kühlschrank.«
»Ich liebe Sancerre«, erwiderte Meyer und dachte, dass dazu ein Dutzend frische Austern passen würden. Aber er wollte die Gastfreundschaft der Psychologin nicht gleich am Anfang überstrapazieren. Sein Handy fing an, den Nokia Tune zu piepsen, aber er schaltete es ab. Keine Störungen jetzt.
»Gehen Sie ruhig ran«, rief die Dipl.-Psych. aus der Küche, »vielleicht ist es wichtig.«
»Mobilfunkanrufe sind nie wichtig«, erwiderte er. »Sie tun immer nur so.«
Susanne Baier lachte. »Da haben Sie
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