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Mordspech (German Edition)

Mordspech (German Edition)

Titel: Mordspech (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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sich schützen musste. Das war ihm sofort völlig klar gewesen; würde er reden, wäre das sein Tod. Wenn Tante Tilly erst mal hatte, was sie wollte, brauchte sie ihn ja nicht mehr lebend. Das war der Konflikt: Redete er, würde er sterben. Redete er nicht, auch. Irgendwann jedenfalls und sehr viel qualvoller.
    Nach dem Bauchschuss war er so weit. Lieber reden und schnell sterben als schweigen und langsam verrecken. Zudem hatte er eine Chance gesehen, eine winzige, kaum wahrnehmbare Chance. Vielleicht kam er doch mit dem Leben davon.
    Spätestens beim zweiten Schuss war ihm das Klacken des Kammerstängels aufgefallen. Ein kurzes metallisches Geräusch. Vermutlich benutzte Tante Tilly ein sehr präzises Repetiergewehr, denn das Klacken kam immer kurz vor dem Schuss, wenn über den Verschluss dem Lauf die nächste Patrone zugeführt wurde.
    Meyer hatte mit zerschossenen Beinen auf dem Steg gelegen, ganz am Rand, dort, wo der See dunkel und tief war. Er wollte sichergehen, dass er sich nicht geirrt hatte. Da war es wieder, das Klacken. Kurz darauf traf ihn die Kugel in den Bauch. Grauenvoll. Er krümmte sich unter Schmerzen und konnte nicht mehr. Er war am Ende. Röchelnd gab er Tante Tilly die gewünschte Information und wartete auf den finalen, den letzten tödlichen Schuss.
    Und als endlich das Klacken kam, ließ er sich einfach vom Steg fallen. Er hörte den Schuss und landete im Wasser. Er wusste nicht, ob er ein viertes Mal getroffen worden war. Es war ihm egal. Das Wasser kühlte seine Wunden, und er sank mit ausgebreiteten Armen in die Tiefe. Bis er keine Luft mehr bekam.
    Der Selbsterhaltungstrieb des Menschen ist gewaltig. Er funktioniert instinktiv. Ein Automatismus des Überlebenswillens. Er versorgt uns mit geradezu übernatürlichen Energien und brachte Meyer nach einer gefühlten Ewigkeit wieder an die Wasseroberfläche zurück. Mit letzter Kraft schaffte er es zu einem Schilfgürtel. Dann verlor er das Bewusstsein.
    Bis jetzt.
    Ein Wahnsinn. Wo war eigentlich die Dipl.-Psych.? Die war doch für solche Fälle verantwortlich. Für den Irrsinn dieser Welt. Er hatte eine Begegnung mit Tante Tilly überlebt, er war traumatisiert! Wieso schickten sie ihm so einen vollbärtigen Oberkommissar, wo Meyer doch in psychologische Behandlung gehörte?
    »Sagten Sie etwas?« Das fleischige Ohr des Herrn Hain war jetzt ganz dicht vor Meyers Gesicht. Haare wuchsen darin, und gelbliches Schmalz war erkennbar. Oh nein! Nicht schön so was. Und wieder sehr große schwarze Poren. Nee, mit so einem wollte Meyer nicht sprechen. Er sehnte sich nach einer Frau, nach Dipl.-Psych …
    »Dibbesüch? Sagten Sie Dibbesüch?«
    Das war so ein Scherz von ihm. Eine Verballhornung der Diplom-Psychologin. Weil das so auf ihrem Schild stand: Dipl.-Psych. Susanne Baier.
    »Beier? Habe ich Beier verstanden?« Das Schmalzohr kam noch näher. »Oder Meier? Wiederholen Sie!«
    Meyer, so ein Quatsch, das war er doch selbst. Warum sollte er seinen Namen nennen? Außerdem war er nicht Psychologe, sondern die Baier. Susanne Baier.
    »Susanne Meier?«
    Nein, Baier! Himmel, Arsch und Zwirn, noch war er mit der Frau nicht verheiratet. Sie hieß Baier! Mit a und i. Wie denn sonst? Das war die Frau, der er Pasta gemacht hatte. Die mit der Ohrfeige und den Muscheln in der Wohnung. Meyer war reif für die Analyse, das sah doch ein Blinder. Er brauchte Zärtlichkeit, fürsorgliche Blicke und einen Sessel, den man in Liegeposition stellen konnte. Seiner Dipl.-Psych. – Verzeihung, seiner Diplom-Psychologin – konnte er erzählen, was geschehen war, von A bis Z. Die hatte eine Schweigepflicht. Komme, was wolle! Wenn er sprach, dann nur mit Susanne Baier.
    »Baier?«
    Herrgott, ist das ein Echo oder was? Ja, Baier, verdammt noch mal, Susanne Baier, Berlin.
    Endlich bewegte sich das fleischige, grobporige Ohr wieder von Meyer weg. Stattdessen wandte sich ihm wieder der vollbärtige Mund zu.
    »Ich habe Susanne Baier, Berlin, verstanden. Soll ich eine Susanne Baier in Berlin verständigen? Nicken Sie, wenn ich richtig liege!«
    Na hallo, Sie liegen goldrichtig, mein lieber ohrenschmalziger Nasenbär. Meyer schloss zufrieden die Augen. Das wenigstens war geschafft. Gott, war er fertig. Er musste dringend ausruhen jetzt. Und drei Minuten waren bestimmt auch längst vorbei.
    Er brauchte Ruhe und wollte von schönen Frauen träumen. Von Susanne Baier und natürlich auch von Monika. Doch er fiel nur in einen Schlaf, der komplett traumlos war.

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