Mordspech (German Edition)
das behauptet er gern. Weiter!«
»Er hat sein ganzes Leben lang für diese Idee gearbeitet«, fährt Susanne Baier fort. »Mit ganzer Kraft. Dabei ist er durchaus auch mal übers Ziel hinausgeschossen und hat Fehler gemacht, aber …« Sie sieht mich an. »Offenbar hat mein Patient Informationen gesammelt, die wichtigen Leuten gefährlich werden könnten. Er wollte das veröffentlichen. Der Journalist wurde umgebracht …«
Kawelka! Jetzt wird ein Schuh draus.
»… und jetzt sind sie eben auch hinter meinem Patienten her. Ich hielt das zunächst alles für einen Wahn und habe das eher professionell betrachtet. Aber jetzt, wo wirklich geschossen wurde …«
»… können Sie das nicht mehr professionell betrachten?«
»Ich weiß nicht. Ich …« Sie fängt an zu weinen. »Das ist alles zu viel für mich, glaube ich.«
Arme Psychologin. Ich nehme sie in den Arm und komme mir ziemlich ritterlich vor. »Schon gut«, tröste ich sie, »wir kriegen das schon irgendwie hin. Wo steht Ihr Wagen?«
Das ist jetzt nicht mehr so ritterlich, denn welcher stolze Burgherr muss sich ein Pferd leihen?
»Gleich da vorn«, schluchzt sie und zeigt auf einen Toyota, der ein paar Meter von uns entfernt auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht.
Da sich Susanne Baier außerstande sieht zu fahren, setze ich mich ans Steuer. Japanische Kleinwagen sind für einen langbeinigen Mitteleuropäer wie mich immer eine Herausforderung. Die Knie ragen links und rechts neben dem Lenkrad hoch, und ich muss aufpassen, dass ich nicht nach jedem Gasgeben und nach jedem Kupplungtreten auch versehentlich den Blinker einschalte oder die Scheibenwischer in Gang setze.
Unterwegs erzählt sie mir, von plötzlichen Heulattacken unterbrochen, dass Meyer bei ihr Zuflucht vor seinen Verfolgern gesucht habe, weshalb sie ihn überhaupt nach Ferch gebracht habe.
»An den Schwielowsee! Ich dachte, da sei er sicher! Die müssen uns gefolgt sein, oh Gott, wenn ich nur daran denke, wird mir ganz schlecht.«
Mir auch. Doch noch viel mehr beschäftigt mich die Frage, wer Siggi verfolgt hat. Ich bin gespannt, was er zu sagen hat.
Das Ernst-von-Bergmann-Klinikum liegt in der nordöstlichen Potsdamer Innenstadt. Ein großer Krankenhauskomplex aus mehreren Gebäuden und in sich verschachtelten Plattenbauten zwischen Bassinplatz, Berliner und Gutenbergstraße.
Meyer liegt auf der chirurgischen Intensivstation. Zwei Polizisten bewachen sein Zimmer.
»Das hat ein Oberkommissar Hain so veranlasst«, erklärt mir Susanne Baier leise, »Sie müssen sich ausweisen.«
»Gern.« Ich zeige den beiden Polizisten meinen Ausweis und gebe mich streng dienstlich. »Kriminalhauptkommissar Hans Dieter Knoop vom LKA eins in Berlin. Ich muss dringend mit dem Mann reden. Ist er ansprechbar?«
»Soweit ich weiß, ja«, antwortet einer der Polizisten. »Es ist gerade eine Ärztin bei ihm. Die kann Ihnen sicher mehr über den Gesundheitszustand sagen.«
»Vielen Dank!« Ich will die Tür öffnen, doch die ist von innen verriegelt.
»Hallo«, rufe ich irritiert und rüttle vergebens an der Klinke. »Hallo! Ist da wer?«
Nichts.
Vielleicht will die Ärztin nicht gestört werden? Oder …? – Verdammt! Eine furchtbare Ahnung steigt in mir auf.
»Geben Sie mir Ihre Waffe! Schnell!«
Die Polizisten reagieren mit Verzögerung.
»Nun machen Sie doch mal hin!« Kurzerhand nehme ich dem mir am nächsten sitzenden Beamten die Pistole ab. »Treten Sie zurück!«
Die Polizisten nehmen erschrocken Abstand von der Tür. Susanne Baier weint schon wieder und hält sich die Ohren zu.
Ich entsichere die Waffe, als sich plötzlich die Tür zu Siggis Krankenzimmer öffnet und eine ältere, freundlich wirkende Ärztin herauskommt. Sie erinnert mich an jemanden. Aber an wen? Fragend sieht sie auf die Pistole in meinen Händen.
»Wollen Sie mich erschießen?«
»Entschuldigen Sie!« Ich gebe die Waffe dem Polizisten zurück. »Aber die Tür war zu, und ich dachte …«
»… dann schieße ich mir den Weg frei?« Die Ärztin schüttelt spöttisch den Kopf. »Das ist hier eine Klinik, mein Herr! Nicht der Wilde Westen.«
»Schon klar, aber …«
»Sie können jetzt rein.« Die Ärztin hält mir die Tür auf und stöckelt von dannen.
»Danke.« Ich sehe ihr kurz nach und trete ein.
Siggi ist über Schläuche mit Infusionsbeuteln und allerlei Gerät verbunden. Er wirkt ungewohnt schmal und blass zwischen all den Monitoren, die seinen Kreislauf, seine Atmung und was weiß ich
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