Mordspech (German Edition)
1984 zum fünfunddreißigsten Jahrestag der Deutschen Demokratischen Republik als Anerkennung für ihre guten Leistungen bei der vorbildlichen Verteidigung des ersten Arbeiter-und-Bauern-Staates auf deutschem Boden bekommen hatte, und fuhr damit in die Stadt.
Normalerweise benutzte sie den Wagen sehr selten und nur privat. Er war gut in Schuss, auch wenn beim letzten TÜV kleine Mängel festgestellt worden waren. Etwas Rost an den Schwellern, zudem verlor der Motor Öl. Dennoch hatte sie die Plakette bekommen.
Tante Tilly brachte den Hund zum Kottbusser Damm in Kreuzberg. Nachts um halb drei war hier nichts mehr los. Kein Mensch auf der Straße, und Überwachungskameras gab es auch nicht.
Sie lockte den Hund aus dem Auto und band ihn an eine Laterne direkt vor dem »Moviemento« an. Das war das älteste sich in Betrieb befindliche Kino Deutschlands und 1907 von Alfred Topp als Kinematografentheater gegründet worden. »Topps Kino«, wie es damals hieß. Später wurde der Begriff »Kintopp« daraus.
Der Hund ahnte, dass etwas nicht stimmte, und bellte. Tante Tilly stellte ihm noch eine Schüssel mit Wasser hin und fütterte ihn mit seiner Lieblingswurst. Dann setzte sie sich ins Auto und gab mit schwerem Herzen Gas.
Selten in ihrem Leben hatte sich Tante Tilly so elend gefühlt. Aber sie wusste, dass der Hund so lange jaulen und bellen würde, bis ihn jemand fand und ihn ins Tierheim brachte. Vielleicht fand er auch ein neues Herrchen. Eines, das ihn besser gebrauchen konnte als sie.
Und dann hatte sie Tränen in den Augen. Der Hund hatte ihr Spaß gemacht. Doch jetzt war er fort. Schade war das. Tante Tilly weinte jetzt wirklich. Sehr schade. Und was sollte sie den Kindern erzählen?
Am nächsten Morgen konnte sie sich endlich wieder ihren Aufgaben widmen. Sie fuhr mit der Bahn nach Potsdam, weil sie herausgefunden hatte, dass sich ihr Ziel im Ernst-von-Bergmann-Klinikum befand und in einem stabilen Zustand war. So stabil, dass es befragt werden konnte.
Und diesmal würde es die Wahrheit sagen müssen. Komme, was wolle.
38 » MONIKA ? – Monika!«
Verdammt, eben war sie doch noch dran. Als wir gerade aus dem Wagen steigen, ruft sie endlich an. Wir wechseln kaum drei Worte, »hallo, wie geht’s« und so, und dann ist plötzlich die Verbindung weg. Das gibt’s doch nicht! Scheißmoderne Technik!
»Sardsch? Dein Typ ist gefragt!«
Missmutig stecke ich das Handy wieder ein und starre auf die durchaus attraktive Frau, die gerade in der Eingangshalle unserer Dienststelle mit Hünerbein zusammengerasselt ist.
»Sind Sie Herr Knoop?«
»Höchstpersönlich. Und Sie?«
»Das sage ich Ihnen«, sie sieht sich verschwörerisch um, »wenn wir allein sind.«
»Oho«, macht Hünerbein, »na, dann will ich das Rendezvous d’amour mal nicht stören.« Und schon läuft er die Treppe hoch.
Blödmann, denke ich und wende mich der Frau zu. »Wir sind allein. Also?«
»Nicht hier«, flüstert sie. »Können wir nicht irgendwo …«
Wird man jetzt schon in der Dienststelle angebaggert? Herrgott, ich bin fünfzig. Das hat die doch gar nicht nötig. »Was wollen Sie von mir?«
»Es geht um einen Patienten.« Sie wird immer leiser. »Sie kennen ihn. Siegbert Meyer.«
Stasi-Siggi, na endlich. Das ändert alles. »Wo steckt der Kerl?«
»Das will ich Ihnen ja sagen«, haucht sie kaum hörbar, »aber …«
Nicht hier, schon klar. »Kommen Sie!« Ich hake sie am Arm unter. »Wir gehen ein Stück!«
Die Frau stellt sich mir als Siggis Psychologin Susanne Baier vor und ist vollkommen außer sich. Zu Recht, denn das, was sie mir erzählt, als wir Arm und Arm wie ein altes Ehepaar die Keithstraße hinunterlaufen, haut auch einen gestandenen Kriminalisten wie mich fast um: Siggi, brutal in Beine und Bauch geschossen?
»Weshalb?«
»Sie wollten eine Information.«
»Wer?«
»Das will er Ihnen selbst sagen. Er liegt im Potsdamer Ernst-von-Bergmann-Klinikum.« Sie sieht mich bang an. »Sie müssen mit ihm reden!«
Auf jeden Fall, denke ich. »Wissen Sie, um was für eine Information es ging?«
Jetzt schwurbelt sie mir was vor. Von den bösen Mächten, die unsere Gesellschaft beherrschen, und dergleichen. Die üblichen Verschwörungstheorien. Siggi hat offenbar ganze Arbeit geleistet. Seine Analytikerin redet schon genau wie er. Wer therapiert hier eigentlich wen?
»Geht’s auch konkreter?«
»Ich will es versuchen.« Allmählich wird sie ruhiger. »Mein Patient ist überzeugter Kommunist, wissen Sie?«
»Ja,
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