Mordspuren - Neue spektakulaere Kriminalfaelle - erzaehlt vom bekanntesten Kriminalbiologen der Welt
Schritt zur Qual. Der Inka-Pfad ist ein abgeschlossener Naturpark und gehört zum Nationalpark Machu Picchu. Er steht unter staatlicher Aufsicht, am Ein- und Ausgang gibt es Kontrollposten. Arbeiter sind ständig dabei, den teilweise schon von den Inkas mit Findlingen ausgelegten Pfad zu reparieren und instand zu halten.
Der »Eingang« befindet sich bei Kilometer 88, wo sich jeder Wanderer in ein Buch eintragen und dreißig US-Dollar Gebühr entrichten muss.
Die einzigen Touristen, die am 5. Januar 1997 in das Kontrollbuch eingetragen waren, waren Ursula Glück-Tesler und Ilan Tesler. Nicht ungewöhnlich, denn es war Regenzeit. Außergewöhnlich war aber die Uhrzeit: 16.45 Uhr. Normalerweise beginnt niemand so spät am Nachmittag die Wanderung, da es um halb acht Uhr abends bereits dunkel ist.
So gelangte man rasch zu jener Stelle, an der auch das Ehepaar Tesler in der ersten Nacht ihr Zelt aufgeschlagen hatte und an der laut Tesler Männer mit Lampen um das Zelt geschlichen sein sollen. Ein außergewöhnlich steiler und unbequemer Platz, direkt am Wegesrand, an dem ein aufgeschlagenes Zelt für Vorbeikommende nicht zu übersehen ist. Keinvernünftiger Mensch würde an dieser Stelle campieren. Nur fünfzig Meter weiter wäre ein ebener, bequemer Platz gewesen. Warum haben sie nicht dort ihr Zelt aufgeschlagen? Einzige plausible, wenn auch nicht beweisbare Erklärung: Dort wären sie vielleicht nicht allein gewesen, und dann wäre die Version von den Unbekannten, die sie schon in der ersten Nacht in Angst und Schrecken versetzt hätten und die ihnen wahrscheinlich gefolgt sein dürften, nicht mehr haltbar gewesen.
Nach einer Übernachtung ging die Tour weiter, und schließlich erreichte der fast vierzigköpfige Tross nach einigen Strapazen das Camp Pacamayo, ein ausgewiesener, geräumiger Platz mit festen Gebäuden und fließendem Wasser. Tesler hatte seinerzeit, als sie gegen sechzehn Uhr dort angekommen waren, darauf gedrängt, noch weiter zur Ruine Runcuracay aufzusteigen. Dort oben, in dreitausendsiebenhundert Meter Höhe, das hatte er vorher schon durch das Zoom seiner Videokamera ausmachen können, würde man ganz allein sein.
Abb. 45: Das Ermittlungsteam in Peru: Münchner und peruanische Kripo mit Trägern. (Foto: mit freundlicher Genehmigung von Josef Wilfling, K111, Polizeipräsidium München)
Rekonstruktionen
Das Camp Pacamayo war Ausgangsbasis für die vorgesehenen Rekonstruktionen und Versuche. Als alle Expeditionsteilnehmer tief und fest schliefen, kam es zu einem unglaublichen Vorfall: Obwohl fünf Polizisten das Camp sicherten, wurde mitten in der Nacht ein Zelt aufgeschlitzt und ein Rucksack gestohlen. Die im Zelt schlafende Dolmetscherin schrie laut auf, Chaos brach aus, und obwohl die Polizisten sofort die Verfolgung aufnahmen, konnten die Diebe in der Dunkelheit flüchten, vermutlich den Weg zurück Richtung Eingang. Nach oben zur Ruine konnten sie nicht laufen, denn dort warteten Ingenieur Axel Manthei, Kommissarin von Ohain und Kommissar Assmann, die schon vorab aufgestiegen waren, um alle Vorbereitungen für die Rekonstruktionen und Schussversuche der nächsten beiden Tage zu treffen. Als sie über Funk vom Überfall informiert worden waren, schalteten sie sofort grelle Scheinwerfer ein und leuchteten den schmalen, steinernen Weg aus, der zu ihnen heraufführte. Aber es kam niemand. Sofort dachte man an die beiden Anwälte aus Cuzco, die so verärgert gewesen waren, dass sie nicht hatten mitkommen dürfen. Sollte durch diesen Überfall demonstriert werden, wie gefährlich dieser Pfad ist und dass Diebe nicht einmal vor einem starken Polizeiaufgebot zurückschreckten?
Am Originalschauplatz des Verbrechens, einer kleinen Wiese etwa fünfzig Meter neben der Ruine Runcuracay, von der aus man übrigens auf das Camp Pacamayo hinunterschauen konnte, wurde am nächsten Tag ein Vergleichszelt aufgebaut – genau an der Stelle, an der drei Jahre zuvor das Tatzelt gestanden hatte, wie man anhand des bereits sichergestellten Film- und Fotomaterials Teslers rekonstruieren konnte.
Einen breiten Raum der Rekonstruktionen am Tatort nahm das Öffnen des Tatzeltes ein. Tesler hatte, bevor das Originalzelt im Konsulat »gefunden« worden war, immer wieder behauptet, es habe nur einen bogenförmigen Reißverschluss imEingangsbereich gehabt, das Vorzelt sei nicht verschließbar gewesen. Tatsächlich aber hatte das Zelt drei Reißverschlüsse. Einer verschloss das Vorzelt, zwei weitere das Innenzelt. Durch
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