Mordspuren - Neue spektakulaere Kriminalfaelle - erzaehlt vom bekanntesten Kriminalbiologen der Welt
Kunstsachen.
Die Goldprinzessin war schnell die gefeiertste Kundin für die Kaufleute, von ihnen aufgesucht und mit Angeboten bedrängt. Aber nicht mit diesen allein, auch mit den Wagenfabrikanten stand sie im lebhaftesten Kontakt. Sie tauschte ihren Wagen mehrmals auf deren Vorstellungen ein, um immer den elegantesten zu haben, und so machten diese Fabrikanten und Kaufleute mit der liebenswürdigen Dame doppelt gute Geschäfte. Sie war nicht schwierig im Handel und zeigte dem Publikum die neuesten Moden, war doch ihre Kutsche vor den Kaufläden schon zu einer echten Schau geworden. Zugänglich und freundlich besorgte sie jedem Geld, der es benötigte, zumindest hieß es so, und die Armen umlagerten ihre Tür mit mündlichen und schriftlichen Bittgesuchen. Man sagte, dass alle etwas von ihr erhielten.
Die Rede war außerdem von Reisen, die sie nach Brüssel und London unternommen hatte; man war sich sicher, dass sie mehrmals nach Hamburg und in die böhmischen Wälder gefahren war. Nach Karlsbad und Prag fuhr sie mit vier zusätzlichen Pferden. Von dort hatte sie viele exquisite Gegenstände mitgebracht, und auch in Berlin machte sie ihren Bekannten sehr kostbare Geschenke – silberne Kronleuchter, Uhren und Gemälde.
Der Gattin eines reichen jüdischen Bankiers, mit der sie früher in Verbindung stand, gefiel ein Wagen beim Sattler Konrad sehr; die Bankiersfrau führte mit dem Sattler deshalb Verhandlungen. Als die Goldprinzessin das erfuhr, kaufte sie den Wagen schnell für tausendfünfhundert Taler und bot ihn der Dame zum Geschenk an. Das Geschenk wurde abgelehnt, die Geschichte aber bekannt.
Sie hatte zwar solche Bekannte, aber ihr eigentlicher Umgang entsprach nicht dem Glanz, mit dem sie auftrat. Sie kam in die höhere Gesellschaft nicht hinein, und dieselbe kam auch nicht zu ihr.
Das verstärkte den bestehenden Verdacht gegen sie. Man sagte, sie sei die Braut des reichen brasilianischen Grafen Villamor, der sich in Hamburg, Brüssel oder Baden in sie verliebt hätte, mit ihr verlobt sei und sie jetzt reisen und in Berlin verweilen lasse, um sie für die höheren Kreise, in denen er sie einführen wolle, auszubilden. Eine andere Version besagte, dass sie die Braut eines überaus reichen Senators in Hamburg sei, dessen Name damals viel in Berlin im Zusammenhang mit einer anderen Heiratsangelegenheit genannt wurde. Auch deutsche Grafen, ja sogar Fürsten hatten die Ehre, als Verlobte der interessanten Fremden genannt zu werden.
Am meisten sprach für den Brasilianer. Er hätte einerseits den ungeheuren Reichtum erklärt – sie sollte oft Anweisungen von ihrem Bräutigam erhalten haben, sich von ihren früheren kleinkarierten Begriffen zu befreien und noch mehr Geld auszugeben –, andererseits hätte die ausländische Verbindung aber auch ihre Zurückhaltung von der Gesellschaft verständlich gemacht.
Der brasilianische Graf kannte entweder die Berliner Gesellschaft nicht, oder er wollte seine Braut aus der Ferne beobachten und verehren.
Henriette Wilke, diesen bescheidenen Namen führte die reiche Dame, war nicht schön. Wenigstens lag in den gewöhnlichen Zügen ihres sonst regelmäßig hübschen Gesichts nichtsvon einem ungewöhnlichen Zauber, der auf den ersten Blick fesseln kann. In den Gesellschaften, in denen man sie früher gesehen hatte, galt sie als unbedeutend. Wie konnte ein reicher Graf sich so sterblich in sie verliebt haben, dass er mit so ungeheuren Kosten die junge Dame zum Heiraten verführen wollte? Auch dafür wusste der Volksmund eine ausreichende Erklärung: Henriette hatte einen blendend weißen Teint und ins Rötliche gehende blonde Haare; Graf Villamor war nach dessen Vorstellungen ein Mulatte oder gar ein Schwarzer. Weiße Haut bedeutet in Südamerika Adel und Schönheit. Der Farbige, mag er reich sein, auch Graf, ist hingegen ein Wesen niederer Art, der seine Blicke zu keiner einheimischen weißen Schönheit erheben darf. Er muss Länder suchen, wo diese Beschränkung nicht herrscht.
Wer an die anderen Bräutigame, Senatoren oder Grafen glaubte, wusste von einer so abschreckenden Hässlichkeit derselben, dass es schon für eine Art Opfer galt, wenn ein einigermaßen wohlgestaltetes Mädchen sich entschloss, ihnen die Hand zu reichen. All diese Umstände erschienen als Indizien, einen weiblichen Glücksritter vor sich zu haben.
Es sprachen aber auch ebenso viele Indizien dagegen:
Henriette Wilke war keine Unbekannte. Sie war ein Berliner Kind aus Charlottenburg. Früh
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