Mordspuren - Neue spektakulaere Kriminalfaelle - erzaehlt vom bekanntesten Kriminalbiologen der Welt
Februar zu warten.
Als auch am 27. Februar kein Geld kam, erwuchs bei Schröder eine sehr begreifliche Angst. Er ging zur Polizei. Der damalige Polizeipräsident Gerlach fand keinen Grund, gegen die Wilke und noch weniger gegen die anerkannt unbescholtene und wohlhabende Demoiselle Niemann, die noch dazu Eigentümerin des Hauses in Charlottenburg war, einzuschreiten. Auch der berühmte Polizeirat Duncker musste sein Einschreiten beenden, als die Wilke sich ihm gegenüber als vollkommen unbescholtene Bürgerin ausweisen konnte.
Schröder blieb nichts anderes übrig, als gegen Frau Niemann zu klagen. Inzwischen verständigte man sich jedoch. Schröder beschränkte seine Forderung auf die Rückzahlung der tausendsechshundert Taler und auf ein kleines Kapital von achttausend Talern. Beides wurde ihm zugestanden. Damit er nicht erneut misstrauisch wurde, bat Henriette Wilke Demoiselle Niemann, ihm das Geld schon einmal vorab zu zeigen, das er erhalten solle. Die Niemann holte aus ihrem Schrank ein versiegeltes Paket mit der Aufschrift »Zehntausend Taler in pommerschen Pfandbriefen«. Schröder verlangte die sofortige Übergabe. Henriette Wilke, die wie immer für die Niemann das Wort führte, erklärte, dass dies wegen der Familienverhältnisse nicht ginge. Er könne die Pfandbriefe erst am 30. März erhalten.
Auch am 30. März erhielt er sein Geld nicht. Die Wilke kam aber mit ihrer Gesellschafterin zu ihm und erklärte, dass die Familienverhältnisse es Frau Niemann immer noch unmöglich machten, das Versprechen zu erfüllen. Zu seiner vollkommenen Sicherheit und damit er keinen Verdacht schöpfe, gab sie ihm aber das versiegelte Paket mit den zehntausend Talern in Pfandbriefen. Sie bat ihn, das Paket erst am 5. April zu öffnen.Wenn bis dahin keine Zahlung erfolgt sei, könne er die im Paket liegenden Pfandbriefe verkaufen, den versprochenen Betrag behalten und das übrige Geld Frau Niemann geben.
Alle schienen nun zufrieden. Zwar hatte Schröder den Versuch gemacht, die Erlaubnis zur Öffnung schon für den 2. April zu erhalten. Als er aber scherzhaft drohte, es auch ohne Erlaubnis zu tun, hatte die Gesellschafterin, Demoiselle Alfrede, ihm das Entwürdigende dieser eigenmächtigen Handlung erklärt: Es würde die gute Niemann aufs Äußerste beleidigen. Sie halte den Möbelhändler aber für einen so ehrbaren Mann, dass sie sicher sei, er werde das Paket nicht öffnen. »Am 5. April werde ich die Öffnung in Gegenwart von Zeugen vornehmen«, erwiderte Schröder. Bei dieser Äußerung schienen die Wilke und ihre Gesellschafterin sichtbar ins Schwitzen zu kommen.
Am 4. April ersuchte die Wilke den Schröder, das Paket bei der Niemann in Gegenwart ihrer Verwandten zu öffnen. Schröder versprach es zwar, ging aber am 5. April stattdessen, auf polizeiliche Anweisung, zu einem Notar, der die Siegel erbrach und statt der zehntausend Taler in Pfandbriefen in dem Kuvert nur mehrere Bogen leeren Papiers fand.
So war das Rätsel mit einem Schnitt ins Packpapier gelöst. Ein Betrug lag vor, der weit mehr ahnen ließ. Aber wer waren die Betrogenen, wer die Betrüger? Von den Betrogenen war nur Möbelhändler Schröder bekannt, dessen tausendsechshundert Taler aber unmöglich für den Lebenswandel der Goldprinzessin ausgereicht haben konnten. Das Geld war ihm ja auch erst vor kurzer Zeit entlockt worden. Woher kam also das Geld für all die Verschwendung? Und war Henriette Wilke die alleinige Betrügerin?
Sie hatte ja nur als Vermittlerin für die Demoiselle Niemann gehandelt. Frau Niemann hatte das Geld empfangen, die Quittungen ausgestellt, das Paket mit leerem Papier im Schrank gehabt, es Schröder gezeigt und ihm später zugestellt. Die Gesellschafterin Alfrede hatte am lebhaftesten zu Schröders Täuschung das Wort geführt.
Es schien also ein ganzes Komplott weiblicher Schwindler versammelt, die man sofort hätte verhaften sollen. Das geschah aber nicht, und sogar mit Recht, wie man bald sah.
Dramatis personae oder: Das Ensemble des Betrugs
Ehe wir zur Auflösung schreiten, gehen wir neun Jahre zurück, um die Hauptpersonen in der Tragödie kennenzulernen. Das überwiegende Interesse an diesem Fall ist psychologischer Natur. Man muss die Persönlichkeit der Betrogenen kennen, um das kühne, leichtsinnige und schamlose Intrigenspiel zu begreifen, das jedem, der mit solchen Personen nichts zu tun hat, unglaublich erscheinen muss.
In Charlottenburg lebte in ihrem Haus eine siebzigjährige unverheiratete Dame, die
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