Mordspuren - Neue spektakulaere Kriminalfaelle - erzaehlt vom bekanntesten Kriminalbiologen der Welt
war derart bizarr zerschmettert, dass er unmöglich ohne Gewebeübertragung von einem Auto mitgeschleift worden sein konnte. Ein Fahrzeug konnte die Leiche aber auch nicht unter den Transporter geschoben haben – erst recht nicht unbemerkt in der friedlichen Villengegend.
Abb. 54: Teile des Gehirns des Unbekannten fanden sich in einer Palme auf der anderen Straßenseite, die Schädelkappe lag vor dem Nachbarhaus. (Grafik: L. Fuß/M. Benecke nach Jon Thogmartin)
Nur wenige Schritte vom Toten entfernt befand sich auf der Straße ein merkwürdiger Fleck aus Blut und Gewebe. Sollte der noch lebende (oder schon tote) Mann hier von einem sehr schnell fahrenden Auto erfasst und dann unter den parkenden Transporter geschleudert worden sein? Wohl kaum, denn in dieser Kurve und um diese Zeit raste kein Mensch durch West Palm Beach. Trotzdem musste der Fleck die Stelle sein, an dem starke Gewalt auf den Körper eingewirkt hatte. Komisch war nur, dass das Gewebe nicht wie bei einem Unfall in eine, sondern in alle Richtungen verteilt war. Man hätte meinen können, der Tote sei vom Himmel gefallen.
Doch das konnte ja schlecht sein. Andererseits: Nirgendwo fanden sich blutige Reifenspuren auf dem Asphalt. Auch die Flecken auf der Leiche stellten sich bei näherem Hinsehen nur als Fettanhaftungen, nicht aber als Reifenabdrücke heraus. Diese Leiche war nicht überfahren worden. Doch welche andere Kraft hatte dann das Gehirn bis in die Palme auf der anderen Straßenseite geschleudert? Was konnte eine solche Wucht erzeugen?
Vielleicht eine Bombe? Doch abgesehen davon, dass das Villenviertel ein wenig wahrscheinlicher Ort für einen Fremden wäre, sich in die Luft zu sprengen, gab es auch keine Spuren einer Waffe oder eines Sprengsatzes. Zwischen den verstreuten Gewebeteilen und dem Körper fand sich kaum Blut, das normalerweise sternförmig von der Explosionsquelle wegspritzt.
In der Kleidung des Toten fanden sich ebenfalls nur merkwürdige Dinge: Ein ungeöffnetes Kondom und ein halbes Foto. Sonst nichts. Kein Portemonnaie, keine Ausweise, keine Zettel. Mein Kollege Jon Thogmartin war ratlos.
Am merkwürdigsten war, dass die Leiche auch nach drei Stunden in der Wärme Floridas noch eine deutlich kühle Haut hatte. Die inneren Organe waren hingegen warm! »Das konnte ich direkt fühlen«, berichtete der Chief Medical Examiner auf die Frage, wie er das gemessen habe. »Die Verletzungen warenso umfangreich, dass ich gleich am Fundort in die Körperhöhlen und tiefen Wunden hineinfassen konnte. Der Temperaturunterschied war deutlich zu fühlen.«
Die Leiche wurde rasch weggeschafft. Im Institut für Rechtsmedizin stellte man fest, dass der tote Mann etwa dreißig Jahre alt geworden war und nun wortwörtlich alle Knochen gebrochen hatte: Becken, Wirbelsäule, Rippen, Schulterknochen und der Schädel waren zertrümmert. Die Haut war hingegen erstaunlich intakt: Es fanden sich weder Schürfungen noch Ablederungen, wie sie beim Überfahren eines Menschen auftreten. Die Leber und alle übrigen Organe waren hingegen breiig zermahlen. Gift oder Medikamente hatte der Mann nicht zu sich genommen, bevor er starb.
Bei der weiteren Besichtigung der Leiche fand sich ein Tattoo. Es war wappenförmig und enthielt den Schriftzug »Racing« (Rennen). Dieses eigentümliche Wappen wird von zwei Fußballvereinen benutzt, dem argentinischen Club Atletico Racing in der Stadt Avellaneda und einem Verein in Uruguay. Auf dem halben Foto aus der Kleidung des Toten war damit übereinstimmend eine Person mit Fußballtrikot zu erkennen. Das Kondom war allerdings aus der Dominikanischen Republik, sodass nun drei wirtschaftlich schwache Länder als möglicher Herkunftsort des Toten infrage kamen.
Thogmartin dachte nach. Nach der Regel von Arthur Conan Doyle muss nach Ausschluss aller anderen Möglichkeiten diejenige richtig sein, die übrig bleibt – egal, wie unwahrscheinlich sie ist. Waren nicht während des
emergency clean-up
mehrere Flugzeuge über den Leichenfundort geflogen? Konnte der Mann unbemerkt aus einem Flugzeug gesprungen sein? Ein Passagierflugzeug kam dafür nicht infrage, denn dort ist es unmöglich, während des Flugs ein Fenster oder eine Tür zu öffnen. Aber auch in einem Frachtflugzeug würde eine solche Handlung nicht unbemerkt bleiben. Und zumindest am nächstgelegenen Flughafen von Miami war von keinem derartigen Vorfall berichtet worden.
Die einzig verbleibende Möglichkeit war, dass der Mann sich im Hohlraum verborgen hatte,
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