Mordsschnellweg: Kriminalstorys
ist immer der Gärtner − Teil 4
1
Die Pfirsichbowle in Lewandowskis Garten entfaltete ihre erwartete Wirkung: Fritz Schnell und Erwin Farle sangen lautstark und wie gewohnt nicht textsicher Der Steiger kommt, Else Lewandowski rettete die übrig gebliebenen Käsehäppchen und Grillwürste vor einer Ameiseninvasion, Klaus Drewniak reiherte in die Rhabarberbeete, Jutta Röttger demonstrierte dem fachkundigen Horst Lewandowski, dass Strumpfbänder durchaus reizvoll sein können, und das Lehrerehepaar Mürrmann versuchte, Metin Demir zu überzeugen, seinen Sohn auf die Gesamtschule zu schicken. Nur Ede Rodenstedt, der um diese Zeit normalerweise und unaufgefordert den Russlandfeldzug zum Thema gemacht hätte, saß ruhig in einer Ecke. Irgendwann fiel Horst Lewandowski auf, dass der Senior den ganzen Abend noch kein Wort gesagt hatte.
»Ede, watt is los mit dir? Haben sie dir die Rente gekürzt oder watt?«
Ede Rodenstedt wartete mit seiner Antwort, bis sich das Gesangsduo von Hans Albers verabschiedet hatte. »Wir müssen zur Polizei!«
Else Lewandowski stellte die Abräumarbeiten ein. »Wie jetzt, Polizei?! Ist was geklaut worden?«
Ede Rodenstedt strich über seinen Haarkranz und holte tief Luft. »Wir müssen uns stellen!«
Es wurde still in Lewandowskis Garten. Ganz still. Sogar die Vögel stellten ihr Abendkonzert ein.
»Wir haben drei Menschen auf dem Gewissen. Wir müssen reinen Tisch machen. Das sind wir den Opfern und ihren Angehörigen schuldig!«
Else Lewandowski setzte sich zu Ede Rodenstedt auf die Bank. »Hasse was Falsches gegessen?«
Ede Rodenstedt schüttelte sein greises Haupt.
»Ist es wegen dieser komischen Tabletten, die dir Doktor Beck verschrieben hat?«
Der Kriegsveteran schnaubte ungehalten. »Irgendwann müssen wir alle vor unseren Schöpfer treten und Rechenschaft ablegen.«
Erwin Farle schlug die Hände über dem breiten Metzgerschädel zusammen. »Ach Gott. Jetzt wird er auf die alten Tage noch gläubig.«
»Ich meine es ernst. Wir müssen zur Polizei und alles er zählen. Wie wir Heinz Drahle vergiftet haben und den Masseur Struck. Und dass wir es waren, die den Gerd Hasselbrink in die Luft gejagt haben.«
»Du spinnst doch, Alter.«
Klaus Drewniak kam aus dem Gebüsch und wischte sich den Speichel aus den Mundwinkeln. »Du bist längst über das Verfallsdatum weg, Ede, dich stecken sie nicht mehr in den Knast. Aber uns!«
»Wo Klaus recht hat, hat er recht«, meinte Fritz Schnell und fingerte die letzten Pfirsichstücke aus dem Bowlenglas. »Außerdem war das alles Notwehr.«
»Dann müsst ihr ja keine Angst haben!« Ede Rodenstedt erhob sich ächzend und griff nach seinem Krückstock. »Übermorgen muss ich sowieso in die Stadt, dann geh ich zur Polizei. Am besten, ihr sucht euch einen guten Anwalt.«
Der Kriegsversehrte nickte den fassungslosen Schrebern zu und verschwand humpelnd in der Dunkelheit.
Erwin Farle fand als Erster seine Sprache wieder. »Das ist die Kugel, die der Russe dem Ede in den Rücken geschossen hat. Die drückt jetzt bestimmt auf irgendwelche Nerven. Anders kann ich mir das nicht erklären.«
Die anderen nickten zustimmend. Seit Ede Rodenstedt mit den letzten Kriegsgefangenen zur Adenauerzeit aus Russland gekommen war, war er schwerbehindert. Nur allzu oft hatte er die Geschichte von der Kalaschnikowkugel erzählt, die er sich bei Minsk eingefangen hatte. Die Ärzte hatten bis heute eine Operation abgelehnt, aus Angst, Nervenbahnen zu verletzen.
»Ich war ja nie ein Freund der Russen«, meinte Fritz Schnell, der es in der Bundeswehr bis zum Feldwebel geschafft hatte, »aber hätten die nicht besser zielen können?!«
2
Am nächsten Tag gaben sich die Schreber in Rodenstedts Gartenhäuschen die Klinke in die Hand. Lewandowski versprach Ede Rodenstedt lebenslange Befreiung von der Pacht, Metzgermeister Farle wöchentliche Gratislieferungen von selbst gemachten Leberwürsten und Jutta Röttger eine Striptease-Einlage beim nächsten Sommerfest.
Nichts half. Der sture Bock ließ sich nicht von seinem Plan abbringen, die Polizei von der mörderischen Geschichte des Kleingartenvereins in Kenntnis zu setzen.
Die Sonne hatte es an diesem Abend eilig, ihre kurze Vorstellung zu beenden, Regenwolken zogen auf. Im Vereinshaus versammelte sich um den Vorsitzenden Horst Lewandowski der harte Kern des Kleingartenvereins Zum tollen Bomberg: der Metzgermeister Erwin Farle, der Lehrer Werner Mürrmann, der ehemalige Richter am Landgericht
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