Mordsschnellweg: Kriminalstorys
ruhig und fast sachlich, ohne ihre Stimme wirklich zum Vorwurf zu erheben und mich damit unnötig in die Enge zu treiben. So kann ich ganz ohne Stress dem Register meiner Unterlassungssünden lauschen.
»Wann«, fragt sie, »wann fängst du an?«
»Morgen«, sage ich und sehe ihre Augen. »Gleich heute Abend«, verbessere ich mich, doch auch dabei kann es nicht bleiben: »Am späten Nachmittag …«
Manche Frauen sehen ja wirklich hässlich aus, wenn sich zwischen Haaransatz und Augenbrauen die Haut in Falten legt – aber bei Brunhilde ist das ganz anders: Auf ihrer Stirn ist sehr viel Platz für diese sanften Wellen und sie verleihen ihrem Antlitz den weichen Ausdruck der Menschlichkeit, die im Alltag sonst viel zu kurz kommt.
»Du hast recht«, gebe ich zu. »Ich fange an, wenn die Zigarette alle ist. Zwei, drei Züge noch …«
Gattin steht auf und schenkt mir ein Lächeln – das zweite an diesem Dienstag – und haucht mir einen Kuss aufs Haar, bevor sie vom Balkon verschwindet: »Brav, mein Bester. In einer Stunde darfst du mich wecken …«
7
Kaum ist Brunhilde außer Sicht, schleiche ich ihr nach und lausche an allen Türen: Im Schlafzimmer klappert die Dose mit dem Ohropax auf das Nachtschränkchen zurück, bei Söhnchen ist es still und auch von Töchterchen höre ich keinen Laut. Schon stürze ich zu meinem Gefechtsstand.
Al s Rainer Gippert das Ausmaß der Verbrechen erahnt, bittet er seine Exfrau Petra Döring um Hilfe. Petra Döring war Leiterin der Kripo in Bochum, bis sie am Morgen eines heißen Augusttages ihren Opel Corsa auf dem Parkplatz des Präsidiums parkte und nicht daran dachte, dass ihr Sohn Kai auf dem Rücksitz schlummerte. Unfähig zu Trauer und Ehrlichkeit täuschte sie eine Entführung des Sohnes vor. Kai blieb für immer verschwunden. Das alles weiß Rainer Gippert nicht …
… als das Telefon klingelt.
Ganz in Gedanken hebe ich ab. Eine vertraute Frauenstimme weht an mein Ohr: »Na, mein Bester, was macht dein Exposé?«
»Och«, sage ich und begreife erst in diesem Augenblick, wer es ist. »Alles prima! Läuft wie geschmiert! Wenn alles klargeht, hast du es nächste Woche auf dem Tisch.«
»Falsch!«, korrigiert mich meine Verlegerin. »Übermorgen. Das ist deine letzte Chance.«
»Aber …«
»Kein Aber! Ich habe heute drei gute Exposés hereinbekommen. Wunderbare Frauenkrimis. Du musst dich mächtig ins Zeug legen, wenn du noch ins nächste Frühjahrsprogramm willst …«
Sie schickt mir jenes Lachen durch die Leitung, das mich schon zu mehr als einer Nachtschicht veranlasst hat.
»Also, mein Bester, ich warte.«
Übermorgen! Mein Gehirn ist plötzlich leer gefegt, die Finger sind klamm und die Buchstaben auf dem Papier beginnen zu flimmern. Und dann sehe ich plötzlich gar nichts mehr!
Brunhilde.
Einem Engel gleich muss sie hereingeschwebt sein. Ich rieche nur ihr Parfüm, zarte Finger verschließen mir die Augen und sie fragt: »Musst du den Brief denn unbedingt jetzt schreiben? Die Kinder spielen so schön und ich kann einfach nicht einschlafen.«
Ich sitze, insgesamt steif wie ein Brett, aber an allen Gliedern zitternd. Gib Gott, dass die Frau nicht auf den Computer schaut!
Dann schalte ich und befreie mich sanft von den lieben Händen, erhebe mich und dränge Gattin behutsam in Richtung Tür. »Ich muss nur noch …«
Es gibt Irrtümer, die nicht korrigierbar sind. Einer von diesen widerfährt mir in diesem Moment, und er ist mir – Freud sei mein Zeuge – augenblicklich so bewusst, dass ich erschrocken zusammenfahre, als ich das Ende meines Satzes höre: »… das Exposé zu Ende schreiben.«
»Mach’s später«, murmelt Gattin, »jetzt darfst du mir den Nacken …«
Massieren, wollte sie wohl sagen, denn das sei, wie sie mir häufig versichert, der wahre Sex für auf- und abgeklärte Menschen in unserem Alter. Doch sie sagt es nicht. Sondern sie stockt, wendet auf dem Absatz und sieht mir scharf in die Augen: »Was hast du gesagt? Habe ich richtig gehört? Ex-po-sé?«
Ich sammle all meinen Mut und sage leise: »Ja.«
Zugegeben: Persönlich bin ich nicht dabei gewesen. Damals, im Jahre 1883. Da explodierte auf der indonesischen Insel Krakatoa ein Vulkan und löste eine Flutwelle aus, die 36.000 Menschen tötete und noch im Hamburger Hafen die Schiffe schwanken ließ.
Wie gesagt: Dabei gewesen bin ich nicht. Aber ich weiß jetzt, wie das ausgesehen hat. Mein Krakatoa explodierte mitten in meinem
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