Mordsschnellweg: Kriminalstorys
gesteckt. Jule hat zwei Ehemänner in den Herzinfarkt und einen dritten in die Psychiatrie getrieben und gibt nach und nach all ihr Wissen an Brunhilde weiter.
»Uns ist eine ganz verrückte Idee gekommen. Morgen – da fliegen Jule und ich einfach mal für ein paar Tage nach London …«
Ich schweige – es braucht seine Zeit, bis die Worte mich wirklich erreichen.
»Und die Schule?«, begehre ich auf.
»Ach, mein Dummerchen!«, sagt sie. »Morgen beginnt doch der Kirchentag. Da sind alle Klassen und Turnhallen mit Gläubigen belegt. Wir haben den Rest der Woche frei …«
Fürsorglich beugt sich Gattin so tief über mich, dass eine ihrer Haarsträhnen meine rechte Wange streichelt.
»Ich hatte ja erst Bedenken«, gibt sie freimütig zu. »Aber ich bin sicher, dass du mit Holger klarkommst. Und glaub mir: Söhnchen und Holger – die werden sich riesig freuen. Vier Tage lang in einem Zimmer …«
Vier Tage allein mit unseren Kindern – das würde ich vielleicht noch überleben. Aber vier Tage mit unseren Kindern und Holger, dem Monster – dann wird unsere Wohnung zum Vorhof der Hölle. Und wenn ich an die Auftragslisten denke, die Gattin mir für diese Zeit an die Pinnwand hängen wird – dann weiß ich, wie das Fegefeuer aussieht. Ich werde darin schmoren – und mein Exposé wird verbrennen.
»Was ist, mein Bester?«, fragt Brunhilde plötzlich und schaut mich beunruhigt an. »Woran denkst du?«
»Woran schon?«, frage ich zurück und richte mich auf, den Blick fest auf ihren schönen, schlanken Hals gerichtet. »An mein Exposé. Es ist fast fertig. Und es wird fertig. Um jeden Preis.«
»Was heißt das?«, fragte sie. Ihre Stimme ist noch genauso ruhig wie vorher. Aber das Blut in ihrer Halsschlagader pocht.
10
»Na, mein Bester«, sagt eine freundliche Stimme. »Gut vorangekommen?«
Ich nicke und schaue auf, frage: »Darf ich noch ein paar Minuten?«
»Geht leider nicht. Um halb elf löschen wir hier das Licht. Immer. Und bei allen. Eine Ausnahme ist nicht drin …«
Seufzend stehe ich auf, packe die Blätter zusammen und liefere sie zusammen mit dem Bleistift ab. Ein letzter Blick auf die Fotos der Kinder, die jetzt bei der Oma leben, und schon greife ich nach der Decke, um sie mir über den Kopf zu ziehen.
»Bye-bye, Brunhilde«, zitiert die sanfte Stimme. »Ein schöner Titel. Klingt richtig gut …«
Wenn der Mann wüsste, wie mir dieses Lob hinuntergeht!
»Wirklich«, sagt die Stimme. »Das wird bestimmt ein schönes Buch. Und ich bin sicher, Sie schaffen es …«
»Ja?«, frage ich. »Glauben Sie das wirklich, Chef?«
»Keine Frage«, nickt der Wachtmeister und lächelt. »Schließlich haben Sie ja noch zwölf Jahre Zeit …«
Leo P. Ard: Stille Nacht, tödliche Nacht
1
Ich esse Arsen. Seit einem Jahr. Jeden Tag eine kleine Prise. Eine Menge, die für jeden anderen tödlich wäre. Mein Körper hat sich an das Gift gewöhnt. Die Dosis habe ich schrittweise erhöht und fühle mich dabei putzmunter und fit wie ein Hochleistungssportler. Ber gsteiger und Langstr eckenläufer führen ihrem Körper kleine Mengen Arsenik zu, um die Muskelbildung zu fördern. Aber ich bin kein Sportler, ich lebe eher nach Churchills Motto: No sports.
Ich ahne, Sie schütteln den Kopf: ein Verrückter.
Aber ich bin nicht verrückt.
Ich bin ein Mörder!
Ehrlich gesagt, noch nicht. Noch habe ich niemanden umgebracht. Erst Weihnachten wird es so weit sein.
Am Heiligabend werde ich meine Familie beseitigen.
Sie erschrecken? Das ist verständlich. Aber Sie kennen meine Familie nicht: eine Bande gieriger, selbstsüchtiger Blutsauger, ordinär, dumm, laut und rücksichtslos. Sie wohnen in meinem Haus, sie leben von meinem Geld. An manchen Tagen gelingt es mir, mich ihrer Gesellschaft wenigstens zeitweilig zu entziehen. Dann mache ich Überstunden im Büro oder schließe mich zu Hause in meinem Zimmer ein. Aber an den Familienfeiertagen vervielfältigen sich ihre Energien und damit meine Qualen.
Meine Tat wird ein Akt der Selbstverteidigung sein.
Ich muss Ihre Geduld ein wenig strapazieren, denn ich will Ihnen die einzelnen Mitglieder meiner Verwandtschaft vorstellen. Dann werden Sie verstehen, warum ich keinen anderen Ausweg mehr sehe.
2
Tante Hedwig ist das personifizierte Böse. Sie trägt großgeblümte Kleider und fleckige Kittelschürzen. Sie riecht nach Schweiß und schwerem, süßem Parfüm. Seit achtzehn Jahren erdulde ich ihre Tyrannei. Nach
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