Mordsschock (German Edition)
elfenbeinfarbenen Wand. Sie pfeift durch die Vorderzähne. „Scheint ‘nen Haufen Schotter zu haben!“
„Wie bist du hergekommen?“
Statt einer Antwort streckt meine kleine Schwester ihre rechte Faust zusammengeballt mit Anhalterdaumen oben drauf aus.
Ich schimpfe nicht. An Vic vergreift sich sowieso niemand, weil sie ihm vorher die Augen auskratzen würde. „Was war los?“
Vic zieht ein zerdrücktes Päckchen Kaugummi aus der Hosentasche und wirft sich eines in den Mund. Ehe sie es von einer Seite auf die andere schieben kann und zwischendurch Riesenblasen herausplatzen lässt, wie ich es von ihr gewohnt bin, klingelt das Telefon.
Eine aufgeregt-empörte Sophie hängt in der Leitung.
Ich kann sie beruhigen, dass Vic wohlbehalten eben ihre schmutzigen Füße auf den kostbaren Stewen-Tisch packt.
„Diese Schande!“, keucht Sophie. „Die Polizei hat sie nach Hause gebracht. Du kannst dir vorstellen, wie sich die Nachbarn die Hälse verrenkt haben. Und die Schule wurde auch informiert. Sieht ganz so aus, als wenn sie verwiesen wird.“
„Ja, ja“, beruhige ich Sophie. Wenn die wüsste, was ich so auf dem Kerbholz habe! „Was hat sie angestellt?“
„Sie hat das Pferd ihrer Klassenkameradin Annabelle entführt!“
„Was?“
„Ist wohl ein wertvolles Tier. Jedenfalls hat Vic das Pferd aus der Box geholt und einen Tag und eine Nacht auf einer abgelegenen Koppel versteckt. Ein Bauer entdeckte sie. Die Familie hat Anzeige erstattet. Sie sagen außerdem, das Tier könne nun Kolik bekommen von dem vielen feuchten Gras, und wir müssten für die Tierarztkosten aufkommen. Das ist mir so peinlich! Ich könnte ...“
„Was hältst du davon, wenn Vic zu mir zieht? Wir haben das große Haus und den Garten.“
Sophie ist nicht abgeneigt. Sie will sich die Sache durch den Kopf gehen lassen und sich wegen der Übertragung des Sorgerechts erkundigen.
Ich bin ein bisschen atemlos, als sie auflegt. Ken weiß immer noch nichts von meinem Hollywoodfamilientraum. Aber das hat Zeit bis später. Erst quetsche ich Vic aus.
„Diese Annabelle hat dauernd wer weiß wie mit ihrem Pferd geprahlt. Es soll über Hunderttausend wert sein. Da habe ich die blöde Ziege ’n bisschen geärgert. Außerdem finde ich das Tierquälerei: Das Pferd steht den ganzen Tag eingesperrt in der engen Box herum und kommt nur raus, um diese fette Planschkuh zu schleppen! Meine Aktion sollte ’ne Mahnung sein. So wie diese Castorgegner oder die von Greenpeace. Also habe ich dem Tier auf der Wiese seine Freiheit gegeben. Hat sich echt gefreut.“
„Sie muss verschwinden! Ich kann kein Kind verstecken. Wie stellst du dir das vor? Das ist Menschenraub, das ...“ Ken tobt.
Ich wage nicht, ihn darauf hinzuweisen, dass ‚Menschenraub‘ ein schönes Delikt ist, das prima in unsere kriminelle Sammlung passt. „Sophie ist Vics Erziehungsberechtigte. Vic hält sich mit deren Einverständnis bei uns auf.“
„Ach, die ist wohl froh, die Kleine los zu sein?“
„Ich möchte das Sorgerecht für Vic übernehmen. Wir haben Platz genug.“ Zum ersten Mal packe ich meine Hollywoodfamilienträume gegenüber Ken aus.
Er versteht sie nicht.
Kapitel 29
Hansen und Glatzkopf spielen Erpresser. Sie schicken mir dilettantische kleine Briefchen, in denen sie Geld fordern, weil sie meinen, dass ich Ehrhardt umgebracht habe. Bisher hätten sie der Polizei nichts von meiner Anwesenheit im Fraktionsbüro verraten, aber das könne sich jederzeit ändern. Zehntausend fordern die jungen Herren für ihr Schweigen.
Am liebsten möchte ich ihre Frechheiten mit Gegendrohungen beantworten: Maul halten oder Rübe ab! Wer sagt denn, dass Ehrhardts Tod ein Einzelfall war und ich keine ausgebuffte Massenmörderin bin? Leider funktioniert das nicht, weil diese Idioten dann Herder einschalten.
Also muss ich sie hinhalten. Das Geld habe ich nicht, und selbst wenn, ist meine Neigung, es diesen Stümpern hinzuwerfen, gering. Außerdem würden sie ständig mehr fordern. Anzeigen kann ich sie auch nicht. Dann fliegt alles auf, einschließlich der Grundstücksaffäre. Das Sorgerecht für Vic könnte ich in den Wind schießen.
Ich schreibe den beiden keine Briefe, schriftliche Beweisstücke will ich nicht produzieren. Telefonisch teile ich ihnen kurz mit, ich würde mir die Sache überlegen und eventuell Geld auftreiben. Damit geben sie sich zunächst zufrieden.
Das sind nur dumme Wichtigtuer. Naive Kinder, rede ich mir ein. Trotzdem, die Unsicherheit
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