Mordsschock (German Edition)
ich.
„Verflucht!“
„Ken, ich bekomme das Sorgerecht für Vic. Davon haben wir geträumt. Sie wird deine Sachen nicht mehr anrühren, das verspreche ich. Wir könnten ...“
„Nein! Ich will sie nicht haben!“ Ken geht in sein Arbeitszimmer. Die stampfenden Schritte hallen auf dem Parkett.
Ich folge ihm nicht. Zum ersten Mal kommen mir echte Zweifel, ob ich nicht zu optimistisch gewesen bin, als ich dachte, es würde sich alles zum Guten wandeln. Mein Mann hat sich eben gehäutet. Er, der sich in der Partei – und damit in der Öffentlichkeit – betont locker und für jeden Spaß aufgeschlossen zeigt, kuscht vor den Streichen einer Elfjährigen und verliert um seiner Bequemlichkeit willen die Beherrschung.
Erst jetzt lerne ich Kens ehrgeiziges Ziel kennen: Mein Mann will im nächsten Frühjahr Fraktionsvorsitzender und somit Bürgermeisterkandidat werden.
Die Konservativen sind in zwei Lager gespalten: Von Stetten mit seinen Anhängern, zu denen vor allem junge Männer wie Hansen und Glatzkopf, übrigens egal welcher sexuellen Orientierung, zählen. Ken ist Kopf des oppositionellen Grüppchens innerhalb der Partei. Zu seinem Kader gehören Männer mittleren Alters und natürlich die weiblichen Abgeordneten, die er mit seinem Charme bezirzt.
Kens Vorhaben, von Stetten abzulösen, das er das ganze Jahr über verdeckt verfolgte, forciert er nun. „Die Wahlen rücken näher. Da muss man raus aus dem Schneckenhaus. Die Bürger werden mich verehren“, erklärt er selbstbewusst. Er schart seine Anhänger um sich und brütet mit ihnen neue Strategien aus.
Jeden zweiten Tag strahlt mein Mann von den Titelseiten des Rosenhagener Tageblatts und der Wochenblätter, wie er irgendwo einen Grundstein legt, eine Altentagesstätte einweiht oder als Partygast brilliert. Plötzlich entdeckt er eine soziale Ader und tummelt sich in Kindergärten und Behindertenwerkstätten, wo er zu Spendenaktionen aufruft.
Der Vorteil seiner ehrgeizigen Pläne ist, dass er bei viel häuslicher Abwesenheit nicht so oft mit Vic aneinandergeraten kann. Auf die Partys begleite ich ihn als glückliche, junge Ehefrau, weil er mit seinem soliden Leben gegenüber dem Dauerjunggesellen von Stetten eine gute konservative Figur abgibt.
Heute hat Ken als Propagandaaktion, wie er es bezeichnet, einige Männer der Partei zum Fußballgucken zu uns nach Hause eingeladen. Es läuft irgendein Freundschaftsspiel der Nationalelf.
Acht Männer zwischen Ende dreißig bis Anfang fünfzig sitzen bei uns im Wohnzimmer. Sie trinken Bier, knabbern Chips und kommentieren lautstark das Gekicke auf der Mattscheibe. Alle haben ordentlich einen sitzen.
Einer grölt: „Ken, die Chips sind alle! Habt ihr noch was anderes für den Kohldampf eines ausgewachsenen Mannes?“
„Klar! Nina, hol mal Nachschub!“ Großspurig streckt Ken seine Arme in meine Richtung aus.
„Mach’s dir doch selber!“, zische ich ihm zu.
Sein ohnehin vom Alkohol gerötetes Gesicht färbt sich eine Spur dunkler. „Warum kannst du uns nichts zu essen kochen? So wie die anderen Frauen?“, fragt er in leisem, aber scharfen Tonfall.
„Such dir ’ne Andere!“ Ich bin geladen, elektrisiert und wünsche, ich könnte die ganze Ladung samt ihrem Bier und ihren Krümeln rausschmeißen.
Vic latscht ins Wohnzimmer und kramt in ihrem CD-Stapel. Sie trägt ein bauchfreies Top und eine enge Hüfthose, sodass ihr gepiercter Bauchnabel gut zur Geltung kommt.
„He, Kleine, willste ’n Bier?“, schreit einer der Männer, dessen Alkoholpegel Höchststand erreicht hat, und lacht, als hätte er den Witz des Jahrhunderts gerissen. Lüstern stiert er dabei auf ihren niedlichen Bauchnabel.
Vic ignoriert ihn und wühlt weiter in den CDs.
Ihre Gleichgültigkeit turnt den alten Bock erst richtig an. Er beugt sich zu ihr runter und versucht sie, auf seinen Schoß zu ziehen. „Komm zum Onkel!“
Ich halte den Atem an.
Vic holt weit aus. Klatschend trifft ihre rechte Hand mit voller Wucht seine Wange.
„Aua!“ Er lässt sie los und fährt sich über die schmerzende Stelle, die feuerrot leuchtet und deutlich die kleine Hand mit den fünf Fingern widerspiegelt.
„Vic, geh auf dein Zimmer!“, befiehlt Ken mit ärgerlich gerunzelter Stirn. Wie ein Pascha hockt er in seinem Sessel, von dem ich ihn am liebsten heruntergeschüttelt hätte.
Nur mit Mühe halte ich die Worte zurück, die ich in den Raum schleudern möchte.
Als die Gäste gegangen sind, lasse ich meine Wut heraus und keife Ken
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