Mordsschock (German Edition)
„Glauben Sie, dass Ken bei Christines Tod seine Finger im Spiel hatte?“
„Ich weiß es nicht! Selbst wenn, ich glaube nicht, dass ihm jemand etwas nachweisen könnte. Ken ist schlau. Er versteht es, eine blendende Fassade zu errichten. Deswegen sind optische Reize für ihn so wichtig. Ich ertappte ihn oft, wie er sich jünger machte, als er ist. Mit dem Älterwerden kann er nicht umgehen. Ich glaube, die jüngeren Parteikollegen beneidet er um ihre Jugend. Er leidet unter Falten und seiner kleinen Statur.“ Sylvie schenkt mir eine neue Tasse Tee ein und bittet mich, sie zu trinken, um mich zu beruhigen.
„Er ist krank. Zerfressen von Machthunger und Ehrgeiz. Im Affekt verliert er die Kontrolle über sich. Als er mich schlug, sah er irre aus. Niemals werde ich das gefährliche Funkeln in seinen Augen vergessen. Ich schwöre Ihnen, niemand hätte in diesem Moment den strahlenden Ken Winter wieder erkannt! Endlich fiel bei mir der Groschen, und ich reichte die Scheidung ein.“ Sylvie streicht sich über den Oberarm. „Glücklicherweise bin ich von Haus aus finanziell unabhängig. Ich habe ihm eine stattliche Summe versprochen, damit er problemlos einer Scheidung zustimmt. Natürlich töricht, aber auf irgendwelche Nervenkriege verspürte ich keine Lust mehr. Ohne Stress hätte er mich nicht ziehen lassen, weil er der Meinung ist, eine Scheidung schade seinem Ansehen. Die Bürgermeisterwahl war zu dem Zeitpunkt noch in weiter Ferne, wo er in jedem Fall eine Ehefrau an seiner Seite präsentieren will.“ Sylvie wirft mir einen mitleidigen Blick zu, als könne sie meine Gedanken lesen. Sie dreht einen Knoten in ihren Seidenschal. „Ja, ich traue ihm durchaus zu, über Leichen zu gehen!“
Eindringlich schaut sie mich aus ihren katzigen Augen an. „Passen Sie auf sich auf! Wenn Sie mir recht geben, suchen auch Sie das Weite!“
Kapitel 31
Nachdenklich bummle ich zum Auto. Gerade als ich den Schlüssel ins Türschloss stecke, stoppt neben mir ein blauer BMW. Quietschend wird die Scheibe auf der Fahrerseite heruntergekurbelt. Ein Mann, der mir bekannt vorkommt, steckt seinen Kopf durchs Fenster. „Hallo, Sie sind doch die Frau von Kurt!“, ruft er.
Kurt? Jetzt dämmert es mir: der stiernackige Kleiderschrank aus dem Biergarten, den wir im Sommer nach dem Fußballspiel getroffen haben. Kens ehemaliger Schulkamerad.
Genau wie damals lässt er mich auch heute gar nicht erst zu Wort kommen. „Na, wie geht’s dem alten Schlawiner denn so? Hat sich ja nicht mehr bei mir gemeldet. Habe ihm neulich geschrieben, kam aber postwendend zurück, weil die Anschrift überholt ist. Wir wollen ein Klassentreffen machen. Dann können Sie mir ja gleich seine neue Adresse geben. Ich hatte bei seinen Eltern angefragt, aber die konnten mir nicht helfen.“
„Seine Eltern? Die sind tot!“ Ist der Typ am Ende nicht ganz dicht?
Aber er schüttelt souverän den Kopf und behauptet entschieden: „Amelie und Karl-Heinz Winter sind so quietschvergnügt wie Sie und ich!“
Mir fällt nichts dazu ein.
„Die beiden betreiben auf ihre alten Tage noch die Fleischerei. Draußen auf dem platten Land in Fresendorf rund eine Autostunde von Rosenhagen entfernt. Im Nachbarort sind wir zur Schule gegangen.“
„Fleischerei? Ich denke, sein Vater war Gabelstaplerfahrer in einer Fabrik?“ Ich komme mir selten dämlich vor.
Der Mann lacht schallend. „Hat etwa Kurt Ihnen das erzählt? Haha, Gabelstaplerfahrer ist ja köstlich! Dabei haben die Alten schwer Kohle. Kurt wollte die Fleischerei nicht übernehmen. Na ja, sein Vater hat das alles mit eigenen Händen aufgebaut. Darauf ist er stolz. Ich denke, es war für Kurt nicht einfach, neben diesem herrschsüchtigen Vater zu bestehen. Aber Gabelstaplerfahrer ist großartig!“ Er prustet kleine Speicheltröpfchen in die Luft. „Wo die so viel Kies haben! Kurt sollte Abi und so machen. Ehrgeizige Pläne hatten die mit ihm, packte er aber nicht!“
„Seine Eltern sind wohl keine Sozis?“, frage ich schüchtern.
„Nein, die und Sozis! Das sind eingefleischte Konservative. Von jeher, soweit ich weiß. Im Dorf wurde gemunkelt, der Alte habe dafür gesorgt, dass Ken bei den jungen Konservativen vorwärts kam.“ Er zwinkert mir zu. „Sie wissen schon, ordentliche Spenden für die Parteikasse. Ja, und er wollte ihn in den Betrieb holen. Es gab Riesenknatsch. Kurt verschwand nach Rosenhagen. Ich dachte, die Gemüter hätten sich nach all den Jahren beruhigt, aber das scheint ja nicht
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