Mordsschock (German Edition)
der Redaktion schon vor einiger Zeit über die vorbeifahrenden Polizei- und Krankenwagen gewundert.
„Was meinst du damit?“
„Eine Frau hat sich vom Rathausbalkon gestürzt. Sieht aus wie Selbstmord! Soll eine von den Politikern sein. Eine gewisse Riecken. Liegt hier, total Matsch!“
„Christine Riecken?“, brüllte ich atemlos zurück.
„Weiß nicht. Kannst du schnell mit einer Kamera kommen? Meine bockt.“
Mit wackeligen Knien lief ich sechs Minuten später über den Marktplatz und bahnte mir einen Weg durch die schaulustige Menge, die sich um einen mit einer Folie verhüllten Körper auf dem Kopfsteinpflaster drängte. Polizisten scheuchten die unersättlichen Leute weg und sperrten den Tatort mit rot-weißem Flatterband ab. Männer in weißen Schutzanzügen beugten sich über die Folie.
Mittendrin ein Mann im hellen Trenchcoat, der die Leiche eingehend untersuchte. Als er kurz hochguckte, erkannte ich Kommissar Herder. Sekundenlang dachte ich daran, wie er vor wenigen Tagen noch launige Witze auf Winters Party erzählt hatte. Jetzt unterhielt er sich tiefernst mit einem anderen Mann, der gerade medizinische Utensilien in einem Koffer verstaute, vermutlich ein Arzt.
Endlich erspähte ich Jelzick, der an einem Polizeiauto lehnte und eine kalte Zigarette zwischen seinen Wurstfingern rollte.
„Mach du die Fotos!“ Ich drückte ihm die Kamera in die Hand.
Kommentarlos griff er den Apparat und fotografierte den leblosen Körper von allen Seiten.
Ein heftiger Windstoß wehte die Plastikfolie am Kopfende ein Stückchen hoch. Eine dunkle Locke kam zum Vorschein. Ich zuckte innerlich zusammen. Eine unsichtbare Faust hatte mir einen Magenschwinger verpasst. Beim genauen Hinsehen erkannte man deutlich die Umrisse des Körpers. Er lag unnatürlich verdreht da. Das rechte Bein schräg nach außen abgespreizt, der linke Arm zeigte in die entgegengesetzte Richtung, als ob es sie beim Fall zerrissen hatte.
Ein Leichenwagen rollte langsam heran.
Herder und der Arzt traten zur Seite. Polizisten sortierten Arme und Beine in eine normale Lage. Dabei verschob sich die Folie. Ein kleiner Finger guckte kurz hervor, während sie den leblosen Körper anhoben. Auf dem Kopfsteinpflaster, wo er gelegen hatte, zeichneten sich Blutspuren ab. Frisches Rot. Der Tod war erst vor kurzer Zeit eingetreten. Ihr Körper war bestimmt noch warm.
Ich spürte ein Würgen in der Kehle. Gleich würde ich spucken müssen. Unbedeutend, angesichts des grausigen Ereignisses! Irgendein Eisklumpen umklammerte mein Herz. Immer fester. Ich bibberte. Mir wurde schwindlig.
Die Polizisten legten den Leichnam in einen Sarg. Mit letzter Kraft schleppte ich mich auf eine der Drahtbänke unter den Platanen. Im Hintergrund hörte ich den Leichenwagen abfahren. Ich drehte mich nicht um.
Schwer atmend ließ sich Jelzick neben mir auf die Bank fallen. „Aye, du siehst nicht gut aus!“, stellte er fest, was ich längst ahnte. „Woher wusstest du, dass die Tote Christine hieß?“
„Ich habe sie auf dieser Politparty getroffen.“ Vor meinem inneren Auge sah ich die hübsche, junge Frau in ihrem blauen Kostüm am Ahorn lehnend, in Winters Garten. Der ernste Blick, mit dem sie meine Aufmerksamkeit gefesselt hatte. Die zierliche Figur, die sie so energisch anspannen konnte und aus der im nächsten Moment jede Kraft zu verschwinden schien. Ich dachte an unser Gespräch über ihre beiden toten Parteikollegen. Wie erschrocken sie gewesen war, als ich meine Vermutung über etwaige Rennen in der Kieskuhle aussprach. Sie musste etwas darüber gewusst haben! Vielleicht kannte Christine Riecken irgendeine entsetzliche Wahrheit. Eine Wahrheit, welche die Selbstmordtheorie von Herder und den anderen zunichtemachte? Handelte es sich nicht um Selbstmord? Waren die beiden umgebracht worden? Ja, kannte sie sogar den Mörder von Sebastian und Peter? Warum sonst warnte sie mich, über die Kieskuhlen-Unfälle zu schreiben, wenn sie nicht eine ernsthafte Bedrohung fürchtete! War Christine Riecken dieses Wissen zum Verhängnis geworden, wollte sie damit nicht weiter leben? Sie musste in einer verzweifelten Situation gewesen sein.
Ich schaute zu dem kleinen gemauerten Balkon mit der schmiedeeisernen Brüstung hoch, von dem sie gesprungen war. Er klebte gut und gerne sechs Meter über der Erde. Wahrscheinlich hatte sie sich beim Aufprall alle Knochen gebrochen und innere Verletzungen zugezogen.
„Aye, da ist Herder wieder! Bestimmt hat er die Rathausangestellten
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