Mordsschock (German Edition)
sondern nur einfaches Ausschussmitglied. Außerdem galt sie als zurückhaltend, manchmal ein bisschen schwierig im Umgang.“
„Wieso?“
„Sie soll öfters eine exzentrische Meinung zu bestimmten Sachthemen vertreten haben.“
„Inwiefern?“
„Sie wissen ja, dass wir uns in letzter Zeit intensiv mit dem Gottesanger beschäftigt haben. Alle waren sich einig, das Gelände als Bauland auszuweisen. Nur Frau Riecken plädierte dafür, das Areal in ein Naturschutzgebiet umzuwandeln. Mir ist zu Ohren gekommen, dass sie zu diesem Zweck sogar Gespräche mit den Grünen gesucht hat, um die aufzurütteln.“ Der Kommissar schüttelte einige Regentropfen von seinem Trenchcoat. „Aber Sie haben es während der letzten Sitzung der Stadtvertreter selber gehört, die Bürger wünschen sich Baugrundstücke. Diese Naturschützerin (er meinte offensichtlich Frau Hanselmann) stand mit ihrer Meinung alleine da. Politiker sind Volksvertreter. Wir handeln und entscheiden im Interesse der Einwohner von Rosenhagen. Frau Riecken besaß in der Sache sowieso kein Stimmrecht, also konnte sie nichts durchsetzen.“
„Haben Sie persönlich mit ihr über den Gottesanger gesprochen?“ Ich merkte, wie Jelzick neben mir unruhig von einem Elefantenfuß auf den anderen trat. Er fand wohl, dass ich zu weit vom Thema abschweifte.
„Nein! Ich habe nur ab und an davon gehört. Weiß nicht mal mehr, von wem. Solche Aufmüpfigkeit ist natürlich ärgerlich, wenn sich eine Einzelne nicht den demokratischen Verhältnissen fügen will und sogar Kontakt zum politischen Gegner sucht.“ Herder schnaubte. Dabei hüpften schwarze Nasenhärchen aufgeregt aus den Löchern. „Kann auch alles nur dummes Getratsche sein. So was gibt es überall. Das habe ich Ihnen jetzt unter der Hand gesagt, schreiben dürfen Sie es keinesfalls.“
Jelzick und ich nickten im Gleichtakt.
„Ein weiterer Selbstmord in Ihrer Partei?“, mochte ich mir nicht verkneifen zu bemerken.
„Zufall! Soweit ich weiß, hatten alle drei überhaupt nichts miteinander zu tun. Außer, dass Frau Riecken und Sebastian Jensen kurze Zeit im selben Ausschuss saßen. Unsere Stadt ist nicht groß. Viele der jungen Einwohner engagieren sich in unserer Partei. Wir haben in letzter Zeit extrem gute Nachwuchsarbeit geleistet. Wesentlich mehr jüngere Leute entscheiden sich für uns als für die Sozialdemokraten.“ Herder kratzte seinen Bart. „Auf mich wirkte Frau Riecken leicht depressiv.“ Das bestätigte meinen eigenen Eindruck. „Das Einzige, was ich über sie weiß, ist, dass sie sich gut mit EDV auskannte. Sie hat unsere gesamte Homepage für die Partei erstellt.“
Ich sank heimlich ein Stückchen in die Knie. Das Wort ‚Homepage‘ elektrisierte mich. Sofort dachte ich an die geheimnisvolle E-Mail, die mir eine angebliche Wahrheit über die Rosenhagener Politiker angekündigt hatte. Gab es einen Zusammenhang zwischen der Informatikstudentin Christine Riecken und dem anonymen E-Mail-Schreiber? Waren beide Personen identisch? Ich biss mir auf die Zunge, um meine Gedanken nicht laut werden zu lassen.
Der Kommissar brauste in seinem roten Volvo weg.
Jelzick und ich tranken im Marktcafé an der Ecke einen Kaffee.
Ich gab eine einsilbige Gesprächspartnerin ab. Der Fall ‚Christine Riecken‘ spukte in meinem Kopf herum.
An Herders Zufälle glaubte ich keine Sekunde. Sicher hatte Christine den Zusatz ‚wahr‘ an die offizielle Homepage der Rosenhagener Politiker gehängt. Wollte sie mir etwas mitteilen, was an die Öffentlichkeit gelangen sollte? Hingen ihre Enthüllungen mit den Todesfahrten in der Kiesgrube zusammen oder wusste sie etwas über die Grundstücksverteilung des Gottesangers? Mit beiden Themen hatte sich die junge Politikerin anscheinend zum Unwillen ihrer Parteikollegen beschäftigt. Wer hatte ihre Seite aus dem Internet gelöscht? Sie selbst aus Angst? Christine Riecken war irgendjemandem im Wege gewesen. Irgendjemandem, der sie beseitigen wollte. Hatte derjenige sie gezwungen oder war sie freiwillig gesprungen, weil sie dem Ganzen nicht mehr gewachsen war? Beide Möglichkeiten erschienen mir plausibel. Gleichzeitig klangen meine Spekulationen so abenteuerlich, dass ich niemandem etwas von meinen wilden Vermutungen erzählte. Ich musste der Sache allein auf den Grund gehen.
Grübelnd saß ich vor meinem Rechner, die Hände auf der Tastatur, aber über den Bildschirm schwammen nur die bunten Fische des Bildschirmschoners. Neben mir lagen Krügers
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