Mordsviecher
Tiersammler haben kein stabiles Selbstbewusstsein. Sie können sich selber keine Grenzen und Strukturen setzen. So entwickelt das Sammeln eine Eigendynamik und wächst den Betroffenen über den Kopf.«
»Die Rolle von Kilian Stowasser bei dem Ganzen steht zwar noch nicht fest, aber der war doch ein erfolgreicher Machertyp. Der hatte sicher kein Selbstwertproblem!«, rief Irmi.
»Das mag sein, aber Sie müssen auch sein Umfeld berücksichtigen. Die Frau, die Schwägerin, auf die offensichtlich das Grundstück läuft. Society Ladys versuchen sich gerne im Tierschutz. Der bisher spektakulärste Fall für den Deutschen Tierschutz war eine wohlhabende Unternehmerfamilie in Hessen, auf deren Grundstück sich jahrelang Hunderte von Pferden, Hängebauchschweinen, Gänsen, Rindern und Ziegen aufhielten. Verwahrlost, krank, die Tiere vermehrten sich unkontrolliert, und die Jungen starben. Als das zuständige Veterinäramt ein Tierhalteverbot erwirkt hatte, schrieb die Familie den restlichen Tierbestand kurzerhand auf die Schwester um und zog nach Rheinland-Pfalz, wo das Veterinäramt weniger rührig war. Das könnte doch in Ihrem Fall so ähnlich sein: Stowasser überschreibt das Grundstück auf die Schwester seiner Frau und ist erst mal aus der Schusslinie.«
Anschließend erklärte er ihnen die Typologie der Tierhorter, die Irmi schon von der Amtstierärztin kannte. Wie gebannt lauschten sie alle seinen Ausführungen. Die vielen Informationen machten sie erst mal sprachlos. Sailer starrte Herrn Dr. Bindl mit offenem Mund an, Sepp schaute zu Boden, und Andrea kaute an ihren Fingernägeln.
»Offenbar haben wir hier aber einen, der nicht so recht ins Raster passt«, sagte Irmi schließlich.
»Passen Verbrecher denn je in ein Raster?«, fragte Dr. Bindl lächelnd.
»Da haben Sie recht, der böse Russe ist gar nicht immer böse, dafür aber die nette Hausfrau von nebenan.« Irmi spielte damit auf ihren letzten Fall an, bei dem ihr ganzes Team sich auf einen angeblich mafiösen Russen eingeschossen hatte. Es hatte unschöne Szenen gegeben, fast war der offene Krieg ausgebrochen, und nur Irmi hatte eine andere Spur verfolgt, die am Ende zum Ziel geführt hatte.
Dabei ging es ihr nie ums Rechthaben, auch jetzt nicht. Ihr war nur aufgefallen, dass es ihr häufig nicht gelang, ihre Mitarbeiter mitzuziehen und zu überzeugen. Wahrscheinlich fällte sie einsame Entscheidungen, tickte einfach anders und erklärte sich schlecht. Ob sie eine schlechte Chefin war? Diesmal wollte sie es besser machen, wusste aber nicht, wie.
»Gut, Herr Dr. Bindl, ich danke Ihnen für die hilfreichen Informationen.« Sie wandte sich an Kathi. »Wir beide fahren zu Stowassers Fabrik in Eschenlohe. Und du, Andrea, suchst du mir bitte alles raus, was du im Zusammenhang mit Stowasser findest? Du bist ja in Google deutlich kreativer als ich.«
Andrea lächelte verschämt.
»So, und der gute Sailer und der Gschwandtner Sepp fahren noch mal nach Krün. Ich will wissen, wer da wann und wie oft rein- und rausgefahren ist. Fragt am besten die Nachbarn. Ich bin sicher, die haben Tagebuch geführt. Alles kann wichtig sein! Gut, dann sehen wir uns wieder um sechzehn Uhr.«
Kathi und Irmi fuhren los. Hingen ihren Gedanken nach. Irmi war dankbar, dass auch ihre Kollegin nicht in Redelaune war. Sie konzentrierte sich, fokussierte ihre Gedanken auf das anstehende Gespräch.
Stowassers Fabrik war tatsächlich imposant zu nennen. Man fuhr durch ein gewaltiges schmiedeeisernes Tor, das einem englischen Landsitz zur Ehre gereicht hätte. Rechts lag eine Tuffsteinvilla im Stil der Gründerzeit, links ein etwas weniger spektakuläres Gebäude, das aus derselben Zeit zu stammen schien. Eine Zufahrt, breit wie eine Flugzeuglandebahn, führte auf eine moderne Halle zu.
Irmi parkte auf dem Besucherparkplatz. Ein Schild lenkte den Besucher in alle Himmelsrichtungen: Büro/Empfang, Fertigungshalle, Anlieferung, Abholung, Gänsefarm.
Der Empfang lag in dem etwas schlichteren Steinhaus. Ein findiger Architekt schien einige Mauern durch Glas ersetzt zu haben, was dem Ganzen Helligkeit und Modernität verlieh. Der Tresen bestand aus hellem Holz, ebenso wie die Sitzgruppe in der Ecke – und alles signalisierte: Seht her, wir vereinen Ökologie mit Ökonomie!
Irmi fand das Ambiente durchaus ansprechend, doch ihr kam das alles hier zu perfekt vor. Auch das Mädchen am Empfang war so eine Symbiose aus Tradition und Moderne, gewandet in ein Designerdirndl, geschmackvoll und
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