Mordsviecher
Lebens und steckte sie in Kisten. Warf den Deckel zu. Sie hatte sich nicht getraut, das Album mit den Hochzeitsfotos zu öffnen. Sie hatte über ihren Kinderbüchern geheult, dabei waren die Fünf Freunde, Hanni und Nanni oder Burg Schreckenstein doch gar nicht zum Heulen. Sie hatte mit Wehmut ihre alten Platten betrachtet. Sie hatte eine LP von Greg Lake aufgelegt. Lauter Lieblingsstücke, die vor Melancholie nur so trieften. »You think you’re the devil, but with those angel eyes you’re just a slave to love tonight.«
Noch immer sah Irmi der jungen Frau hinterher, die längst hinter einer Hausecke verschwunden war. Sie erfasste auch, warum der junge Mann nicht hatte weiterfahren können. Die Straße war gesperrt, weil es dort ein Straßenfest gab. In zweiter Linie schien es ein Fest der Olympiagegner zu sein, die Transparente mit Aufschriften wie »Danke, IOC ! Danke, Pyeongchang!« oder »Hurra, Samsung, wir lieben die Macht des Geldes!« zwischen die Häuser gehängt hatten.
Irmi nahm an, dass diese kleine Festivität genehmigt war.
Gerade als sie mit ihrem Auto umdrehen wollte, entdeckte sie die Journalistin Tina Bruckmann. Die beiden kannten sich vom Sehen. Irmi las ihre Artikel sehr gern, weil sie differenziert und klug geschrieben waren. Sie stellte ihr Auto ab und schlenderte zu ihr hinüber. Die Journalistin machte sich gerade ein paar Notizen und sah dann hoch. Sie lächelte.
»Erwarten Sie hier etwa einen Mord, Frau Mangold?«
Irmi lachte. »Der Kas is erst mal bissn, würd ich sagen. Wer wollte da noch morden? Höchstens könnte sich ein Olympia-Befürworter so veräppelt fühlen über diese Veranstaltung hier, dass er ausrastet. Wie wäre das?«
»Eine Art Bauernopfer, meinen Sie? Ein Ventil für den ganzen Frust, abgelehnt worden zu sein? Um die Schmach zu verarbeiten, dass putzige Dirndl, die Hausmacht Neureuther und eine Ossi-Eisprinzessin einfach zu wenig waren?«
»Klar, es wurde schon wegen weniger gemordet. Verletzte Gefühle sind oft hochexplosiv. Wer wird schon gerne vorgeführt?«
»Gut, der Punkt geht an Sie, Frau Mangold. Was denken Sie denn?«
»Ich denke, es geht um das Erschließen neuer Wintersportmärkte. Die Topsponsoren heißen Samsung und Hyundai. Deutschland ist doch kein Markt mehr, hier hat doch jeder ein Paar Ski oder ein Snowboard im Schrank stehen. Außer mir.« Irmi lachte. »Ich bin keine Wirtschaftsfachfrau, aber in einem Wachstumsmarkt wie Asien gibt es doch Milliarden zu verdienen. Und dann glaub ich auch, dass Deutschland international als recht problematisch wahrgenommen wird: Wir wollen den Atomausstieg, wir haben ein nicht mehr finanzierbares Sozialsystem. Draußen glauben die sicher, dass Deutschland so ein Projekt gar nicht stemmen kann.«
»Das ist wirklich ein guter Aspekt!«, meinte Tina Bruckmann anerkennend.
»Na ja, das sagt mir halt mein Menschenverstand.« Irmi verzog den Mund.
»Ihnen vielleicht. In Südkorea sind die Aktien für Bauunternehmen und Betreiber von Kasinos und Ferienanlagen gleich mal in die Höhe geschossen. Wir reden hier von der viertgrößten Volkswirtschaft Asiens.«
»Frau Bruckmann, es trifft sich im Übrigen gut, dass wir uns hier zufällig über den Weg laufen. Könnte ich Sie irgendwo auf einen Kaffee einladen? Ins Rathauscafé?«
»Sicher, ich habe ungefähr eine Dreiviertelstunde Zeit.«
»Prima, bis gleich! Treffen wir uns dort.«
Als im Rathauscafé der Cappuccino mit einem Schokopuder-Herz im Milchschaum serviert wurde, schüttelte Irmi den Kopf. »Stellen Sie sich vor, da kommt jemand vom Scheidungstermin im Amtsgericht nebenan und trinkt mit dem Ex oder dem Anwalt so einen Herzerl-Kaffee!«
Tina Bruckmann lachte. »Na, meistens wird man ja wohl eher mit dem Anwalt einen heben wollen. Jetzt bin ich aber neugierig. Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?«
»Kennen Sie Max Trenkle?«
»Den FUF -Vorsitzenden? Ein bisschen, ich habe beruflich mehrfach mit ihm zu tun gehabt.«
Irmi nickte. »Und was halten Sie von ihm?«
Tina Bruckmann dachte kurz nach, ehe sie schließlich sagte: »Ich nehme ihm sein Anliegen ab. Er ist keiner von diesen VIP -Tierschützern, denen es doch längst nicht nur oder gar nicht um die Sache geht. Allerdings beneide ich ihn wirklich nicht darum, dass er ständig von einem Haufen Weiber umgeben ist. Allein unter Frauen! Und zwar nicht irgendwelchen, sondern Tierschützerinnen mit massivem Sendungsbewusstsein.« Sie lachte.
Irmi musterte die Journalistin unauffällig. Sie fand diese Frau
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