Mordsviecher
geprasselt waren. Bernhard hatte längst mähen wollen, er saß auf glühenden Kohlen. Das Heu hatte schon viel zu lange gestanden, aber die feuchten Wiesen waren immer noch zu nass, um hineinzufahren – vor allem bei ihnen in Schwaigen, wo es eh schon moorig war. Dabei sehnte sie sich danach, zu kreiseln. Sie nahm dazu immer den alten Eicher Königstiger. Effizient war der fast schon antike Traktor nicht, aber für Irmi war die Arbeit mit ihm meditativ und entspannend. Das monotone Geräusch, der Geruch des trocknenden Grases – herrlich. Aber der Wetterbericht versprach nur weitere Gewitter.
Irmi quälte sich in einer Kolonne von Urlaubern durch Klais und Kaltenbrunn. Der Verkehr in Höhe des Klinikums lief dann so zäh, dass sie stattdessen kurz darauf eine Abkürzung durch Partenkirchen probierte. Eine schlechte Idee, wie sich herausstellte, denn ein Umzugs-Lkw blockierte die Straße. Ein junger Mann versuchte verzweifelt, den 7,5-Tonner rückwärts zu manövrieren, während die junge Frau, die ihn einweisen sollte, schimpfte und tobte.
Umzüge waren emotionale Ausnahmezustände. Wenn die Ehe den Umzug überstand, hatte sie Chancen, dachte Irmi. Menschen waren wie Zugvögel. Kaum hatten sie ihre Kisten im Keller ausgepackt, zogen sie wieder los. Zu neuen Ufern, neuen Männern, neuen Leben. Doch sie selber blieben dieselben, nahmen all ihre Unzulänglichkeiten und Hoffnungen mit.
Irmi selbst war von exzessivem Umziehen zum Glück verschont geblieben. Wozu hätte sie wegziehen sollen, wenn daheim die frühmorgendlichen Nebelschwaden aus den Feldern traten, wenn die Kater ihre erste Show im taufeuchten Gras abzogen, sich überkugelten, drohten und auf Tiger machten, wo sie doch maximal Bauernstubentiger waren. Wohin hätte sie umziehen sollen, wenn abends eine große Stille aus den Wäldern langsam bis zum Haus wanderte und es sanft einhüllte. Und was wäre besser als ihr brummiger Bruder und Lissi, ihre Nachbarin, die so viel Sonnenschein in ihrem Herzen trug?
Umziehen wegen jenes Nachbarn, der mit Gewalt und Gewehr drohte, wenn Bernhard Reifenspuren in dessen Feldrand machte, bloß weil er einem noch größeren Ladewagen eben jenes Bauern ausweichen musste? Wegen der Grantlhuberin zwei Höfe weiter, die nie grüßte und Irmi für eine höchst gefährliche Kreatur hielt, weil sie arbeitete und keine Hausfrau war? Wegen der Kampftrachtler-Familie Mair, die seit fünfhundert Jahren mit den Mangolds zerstritten war, wobei niemand den eigentlichen Grund für den Zwist kannte? Nein, umziehen war sinnlos. Es gab nirgendwo bessere Menschen, höchstens andere.
Sie hatte lediglich den kurzen Abstecher in die WG gewagt und war später mit ihrem Exmann Martin zusammen nach Garmisch gegangen. Eine schöne Wohnung war das gewesen, aber eben eine Wohnung, und zwar unterm Dach. Wahrscheinlich war sie ein wenig seltsam, aber eine Wohnstatt, von der aus man nicht ebenerdig hinauskonnte, verursachte Irmi Unwohlsein. Der Umzug war Stress pur gewesen, weil Martin bei jedem Bohrloch für Lampen und Bilder ausgeflippt war, weil mal ein Brocken Wand mitkam, mal der Bohrer brach. Man hätte lachen können und auf den Parkettboden sinken und sich dort womöglich lieben … So was gab es aber nur in amerikanischen Liebesfilmen. In der Realität zofften sich Paare bis hin zu Handgreiflichkeiten, dabei waren sie doch eigentlich nur bestrebt, sich eine schöne neue Heimat zu schaffen.
Draußen auf der Straße war die junge Frau inzwischen losgerannt. »Mach deinen Scheiß alleine, wenn ich dich falsch einweise!«, schrie sie. »Verreck doch in deinem Lkw und deinem blöden neuen Haus. Ich wollte das eh nie.« Nein, Umzüge förderten in den allerwenigsten Fällen die positive Paarbildung. »Umzugskommunikation bei Paaren« – das wäre ein toller Kurs für die Volkshochschule. Wie erkläre ich etwas so, dass meine Frau mich versteht? Wie dirigiere ich das sperrige Möbelstück so, dass zwei Träger in dieselbe Richtung streben?
Martin hatte ihr in der Umzugsphase eine Ohrfeige gegeben. Am besten wäre sie damals schon gerannt! Mit ihren noch unausgepackten Koffern hätte sie nach Hause zurückkehren sollen. Das hatte sie dann fünf Jahre später getan, und das war kein Rennen gewesen, sondern eher ein Schleichen. Martin hatte sich mit ein paar wenigen Gegenständen aus dem Staub gemacht. Es war dann an Irmi gewesen, die komplette Wohnung zu räumen. Dieses Verpacken von Erinnerungen war grausam. Man betrachtete die Scherben seines
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