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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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ausführliche Stimmungsbilder, die das monotone Lagerleben im Ort beschreiben.
    Gottschalk konnte sich seinen Dienst frei einteilen. Die Dienstvorschriften, die umständlichen Grußrituale hatten sich in dem eingeschlossenen Ort abgeschliffen. Man verkehrte fast kameradschaftlich sogar mit den Stabsoffizieren. Niemand mochte ausschließen, daß die Rebellen den Ort zu belagern oder gar zu stürmen versuchen könnten. Dennoch war alles ruhig, und manchmal ging Gottschalk auch zur Jagd. Er ging allerdings nur so weit ins Feld, daß er immer noch die Flagge im Auge behielt, die beim Nahen des Feindes heruntergezogen werden sollte. Die Eingeborenen waren freundlich, wenn auch zurückhaltend. Ihr Kapitän hatte sie überreden können, sich nicht am Aufstand gegen die Deutschen zu beteiligen. Der weitschauende Mann sah gute Geschäfte voraus, wenn erst einmal die Truppenverstärkungen der Deutschen ins Land kamen. Dann wurden ortskundige Führer und Wagenfahrer gebraucht. Glücklicherweise hatte die Kommandantur gerade vor Ausbruch des Aufstandes den gesamten Jahresvorrat an Rum und Arrak für das Etatjahr 1905 im voraus geliefert. Abends, wenn es sich abgekühlt hatte, saß man bei einem Glas Rum zusammen. Eine Kapelle aus zwei Trompetern, einem Trommler und zwei Ziehharmonikaspielern spielte abwechselnd Märsche oder Walzer. Eine fidele Zeit, bis die Ablösung von Uchanaris kam. Sie hatte von dem Unterveterinär Wenstrup nichts gesehen und gehört. Drei Tage überfällig sei so ziemlich normal in diesem Land, sagte ein Feldwebel, man muß sich bloß mal bei einer Weggabelung irren.
    Was Gottschalk nie so recht verstanden hatte, war, warum Wenstrup sich damals überhaupt freiwillig zur Südfront gemeldet hatte. Eigentlich sollte Wenstrup, da er sich auf Immunologie spezialisiert hatte, in dem neugegründeten Veterinärmedizinischen Institut in Windhuk arbeiten. Statt dessen hatte er die Kommandantur regelrecht bestürmt: Er sei nicht nach Südwest gekommen, um vor dem Mikroskop zu hocken. Er wolle Pulver riechen. Wenstrup hatte das damals selbst erzählt und dabei gelacht, ohne allerdings einen Grund für sein Drängen zu nennen. Der Major habe sich schließlich von der Hartnäckigkeit Wenstrups beeindrucken und den Marschbefehl ausstellen lassen. Dieser Mann glühe förmlich, um für Kaiser, Volk und Vaterland sein Leben in die Schanze zu schlagen, schrieb der Major in seine Beurteilung, in der er zugleich die Beförderung des Unterveterinärs zum Oberveterinär befürwortete, die von Wenstrups ehemaligem Regimentskommandeur zweimal abgelehnt worden war. Hier draußen, im Felde, zeige sich oftmals erst der wahre Kern eines Mannes, dessen rauhe Schale im friedlichen Garnisonsalltag oftmals störend wirke.

    Am 14. November war die Abteilung, der Wenstrup und Gottschalk zugeteilt worden waren, von Windhuk in Richtung Rehoboth aufgebrochen. Wenstrup behauptete, in dieser verkarsteten Landschaft könnten sich nur verkarstete Geister wohl fühlen. Ein Land, so recht geschaffen für Gemüter mit einem kurzen Docht.

    Tagebucheintragung Gottschalks vom 15. 11. 04
    Die Landschaft: Der Harz, aber konsequent entlaubt und entwässert. Über den Paß kommend, laufen die Berge sanft geneigt nach Süden in eine Ebene, in die wir durch eine schwebende Glut langsam hineinritten. Überall reicht der Himmel bis auf die gelben Grasspitzen. Die wenigen Sträucher und Büsche stehen prasseltrocken. Die Landschaft öffnet sich dem Auge. Alles, was einen in den Städten bedrängt an sinnlichen Reizen, kommt hier zu einer weiten Ruhe. Anders bei W, der sogar beim Reiten in einer Broschüre blättert.

    Beim zweiten Biwak hatte Gottschalk Wenstrup gefragt, was er denn da seit Tagen lese. (Gottschalk hatte lange mit sich kämpfen müssen, bevor er fragte. Er selbst mochte auch nicht nach seiner Lektüre gefragt werden.) Das dünne zerfledderte Heft war denn aber keine Agitationsbroschüre der Sozialdemokraten, wie Gottschalk vermutet hatte, sondern ein Lehrbuch für Feuerwerker über die Funktion von Granatzündern. Wenstrup hatte Gottschalk das Heft wortlos herübergereicht. Verständnislos blätterte Gottschalk herum, betrachtete die Zeichnungen und Daten. Was soll das?
    In einem Kleinkrieg muß man alles wissen. Stellen Sie sich einmal vor, eine Granate wird auf eine Eingeborenenwerft abgefeuert, und diese Granate detoniert unmittelbar nach Abschuß. Der Zünder ist falsch eingestellt. Fliegt also der Bedienungsmannschaft und den Umstehenden

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