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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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zu erinnern, immer wieder auf einen ganz anderen Vorfall kam, der mit dem Jungen nichts zu tun hatte:
    Anfang Dezember 1904 war die Abteilung von Rehoboth in Richtung Rietmont vorgerückt. Oberst Deimling wollte Rietmont, den Stammessitz der Witboois, mit drei Kolonnen angreifen, einkreisen und die dort versammelten Hottentotten unter ihrem Führer Hendrik Witbooi vernichten. Der Überraschungsangriff gelang bei Naris, die Witboois aber konnten fliehen.
    Während des Gefechts waren auch zwei Gefangene gemacht worden. Zierliche Wesen mit bräunlicher Hautfarbe. Den beiden Männern hatte man Hände und Füße mit Stricken gebunden, und zwar so, daß sie nur in kleinen Trippelschritten oder aber in Sprüngen sich vorwärts bewegen konnten. Der eine der beiden Gefangenen, ein junger Mann, trug eine Schutztruppenuniform, die er offenbar einem gefallenen Reiter ausgezogen hatte. Auf der Brust war der von zwei Einschüssen zerfetzte Stoff dunkelbraun von getrocknetem Blut.
    Die viel zu langen Ärmel und Hosenbeine waren umgekrempelt. Der Mann war, abgesehen von der angeschwollenen linken Gesichtshälfte, unverletzt. Oberleutnant Ahrens, inzwischen Adjutant von Oberst Deimling, versuchte, den Mann zu verhören. Ahrens wollte wissen, wohin die Landsleute zu fliehen gedächten. (Oberleutnant Ahrens sagte tatsächlich immer wieder: deine Landsleute.) Der Mann schüttelte bei jeder Frage nur den Kopf. Offenbar wollte er damit andeuten, daß er den Oberleutnant verstand, aber keine Auskunft geben wollte. Ahrens ließ dennoch nach einem Dolmetscher schicken. Ein Unteroffizier der Landwehr kam. Er lebte seit über elf Jahren im Land. Er hatte als Reiter in dem Landsknechthaufen des zweiten Reichskommissars Hauptmann von Franchise gedient, dann eine Farm bei Hochanas erworben und sie bis zum Ausbruch des Aufstandes betrieben. Der Unteroffizier sprach den Gefangenen an, in einer melodischen Sprache, durchsetzt mit kleinen Schnalzlauten. Der Mann stand und schwieg, kaute aber ruhig seinen Priem. Der Unteroffizier, ein Mecklenburger, sagte: Düs Oos wüll man nich, Herr Oberleutnant. Ahrens befahl, weiter zu fragen, andernfalls würde man ihn sofort erschießen. Der Unteroffizier übersetzte dem Gefangenen sein Todesurteil, und dabei verwandelte sich diese schwerfällige mecklenburgische Zunge wieder zu einer Kunstreiterin, sprang mühelos und leicht über Hürden und Gatter mit kleinem Klicken und Klacken. Gottschalk schrak auf, als er das laute Klatschen hörte. Ein Reiter schlug auf den Mann ein, der beim Zurückweichen, von seinen Fesseln behindert, mit einer ulkigen Verrenkung zu Boden ging (die Umstehenden lachten), sich aber sogleich wieder ohne Aufforderung erhob, was ihm mit seinen Fesseln sichtlich Mühe bereitete. Warum bleibt er nicht einfach liegen, dachte Gottschalk. Als der Mann wieder stand, schien ihm, als grinse er verächtlich. Aber das war nur die rechte Gesichtshälfte, die langsam anschwoll. Der Reiter, Verhörspezialist, genannt Old Shatterhand und früher von Beruf Kellner, war nämlich Linkshänder.
    Da der Gefangene jetzt mit unbeweglichem Gesicht dastand, glaubte Gottschalk, der Mann habe seinen Kautabak unter der Wucht des Schlages verschluckt. Aber dann, nach einem Augenblick, mit einem immer schiefer werdenden Grinsen, begann er wieder zu kauen.
    Hoffnungslos, sagte Oberleutnant Ahrens und befahl Leutnant von Schwanebach, den Mann erschießen zu lassen, ergänzte dann aber seinen Befehl, als er sah, daß Schwanebach sechs Mann abkommandierte: Der Aufwand ist zu groß. Lassen Sie ihn aus kurzer Distanz erschießen. Eine Patrone ist für den schon zuviel.
    Tabakkauend und grinsend stand der Mann vor dem Gewehr des Unteroffiziers, der kurz zuvor noch versucht hatte, ihn in Nama auszufragen. Der Unteroffizier hatte sich sofort freiwillig gemeldet. Der Mann stand einfach so in der weiten Landschaft, frei, wenn auch gefesselt.
    Das ist eigentlich gar keine Erschießung, dachte Gottschalk, der die Vorstellung hatte, daß jemand, der erschossen werden soll, an einem Pfahl oder wenigstens an einer Mauer stehen müsse. Leutnant Schwanebach befahl dem Unteroffizier, der schon angelegt hatte, das Gewehr wieder abzusetzen, denn der Mann, den zu erschießen man im Begriff war, trug immer noch eine deutsche Uniform.
    Was sollte man tun? Der Leutnant entschied, daß der Gefangene vor der Erschießung die Uniform auszuziehen habe, die, wenn auch inzwischen entweiht, dennoch der Rock des Kaisers blieb und darüber hinaus

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