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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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durchaus nicht nachgestellt. Wenn der Mann oder die Kinder etwas wünschen, so bitten sie freundlich darum und erhalten es auch. Den Kindern lasse man fast alles durchgehen. Selbst wenn sie einmal eine Kalebasse zerbrächen, komme niemand auf den Gedanken, sie zu schlagen. Die Kinder untereinander hülfen sich schon. Schön sei es, den Menschen beim Tanze zuzuschauen, eine grenzenlose Ausgelassenheit, die manchmal allerdings auch beängstigend ekstatische Züge annehmen könne. Dabei herrschten durchaus strenge Sitten in den Pontoks, strenger als er sie in der Missionsstation in Warmbad angetroffen habe. Geregelte Arbeit aber empfinde der Hottentotte als Last: Er sieht nicht in die Zukunft, weder für sich noch für die Seinigen, er ißt und trinkt, um zu leben, er lebt, um zu essen und zu trinken. Und er zeigte mir einen lauteren Strom des lebendigen Wassers, klar wie ein Kristall, schreibt doch Johannis. Das Erstaunlichste aber sei dann doch, mit welcher Gleichmut diese Menschen ihrem Tod entgegensähen, der für sie nichts Erschreckendes habe. Er selbst übe sich eifrig im Schnalzen mit der Zunge. Dabei müsse man nicht einmal die Lunge, diesen Blasebalg, bedienen. Wenn er seine Zungenspitze gegen die Alveole presse und sie dann mit einem kräftigen Ruck nach unten schlagen lasse, dann erzeuge das ein wolkenloses Blau, so wie er als Kind gern Schuhuu gerufen habe, und schon sei die Nacht gekommen.
    Waren es diese letzten Sätze oder aber lag es daran, daß in dem ganzen langen Brief nicht ein einziges Mal der Allmächtige oder auch nur der Heiland erwähnt wurde, auf jeden Fall entschloß sich Erdmute – sie kannte ihren Gorth immerhin schon neun Jahre –, dem Bräutigam sogleich nachzureisen. Sie nahm, eine sehr resolute junge Frau, den nächsten Ochsenwagen, der in Richtung Norden nach Pella ging.
    Nachdem Gorth sich endlich entschlossen hatte weiterzuziehen, wollte der Stamm ein Abschiedsfest geben. Gorth hatte bei den Einwohnern diesmal weniger durch seine Ähnlichkeit mit dem Schaf Bewunderung erregt (der Stamm züchtete Rinder und Ziegen) als vielmehr durch seine Zündhölzer. Mit Staunen hatte man beobachtet, daß der Fremde sein Feuer in der Tasche bei sich trug und, wo immer er wollte, mühelos ein zweites Feuer entfachen konnte. Mit Zauberei hatte das nichts zu tun, denn Gorth hatte schnell den Mechanismus erklärt, den schließlich auch die älteste Frau des Stammes verstanden hatte. Bewundert wurden auch die eisernen Töpfe und Pfannen, die er mit sich führte, in denen man so bequem und rasch kochen und braten konnte, und dann vor allem natürlich: die Jagdbüchse. Der Stamm besaß zwar zwei uralte verrostete Steinschloßgewehre, die hoch in Ehren gehalten und kaum benutzt wurden (Pulver und Kugeln konnten nur selten und umständlich über andere Stämme eingetauscht werden), aber was waren diese Donnerbüchsen, die man auf zehn Meter an eine Antilope heranschleppen mußte, wollte man sie treffen, gegen diese Jagdbüchse von Gorth mit ihren gezogenen Zwillingsläufen, aus deren einem er auch eine Schrotpatrone abschießen konnte. Gorth füllte mit Hilfe dieser Büchse vierzehn Tage lang die Fleischtöpfe des ganzen Stammes. War es da verwunderlich, daß nicht nur Kinder und Greise, sondern auch gestandene Männer aus dem Rat Gorth baten, noch zu bleiben. Gorth hatte dann auch seinen Aufenthalt Tag um Tag verlängert, bis die Kugel im Arm von Petrus sagte, daß es schon bald wieder Regen geben würde. Zuvor wollte Gorth wenigstens das Flußbett überquert haben.
    So wurden am Abend vor seiner Abreise zwei Ziegen geschlachtet. Die Sau grunzte, die Ferkel quiekten zum Gottserbarmen, aber Gorth blieb hart und ließ drei Ferkel abstechen. In dieser heißen Dezembernacht tanzte sogar Gorth, der nie eine Tanzstunde besucht hatte. Er hatte ein Pfeifchen mit Dagga geraucht, das ihm der Häuptling des Stammes überreicht hatte und das er, wie er sich selbst sagte, aus Höflichkeit nicht ablehnen durfte. Danach wurde er Zeuge eines tonalen Feuerwerks: Wie eine Feuerschlange zischte der Dentalis über den Boden, gold und blau, strahlenförmig zerplatzte der Cerebralis, knatternd sprang der Lateralis über Baum und Busch. Wie von Ketten befreit sprangen Gorths Beine. Er tanzte mit Lukas. Nur einmal und nur ganz kurz dachte er an seine Braut: Sie stand an der Reling eines Segelschiffs, auf dem Kopf einen Südwester, rief sie, gegen die Sturmböen an, Befehle in die Masten, wo Matrosen rittlings auf den Rahen

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