Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
Vom Netzwerk:
saßen. Allein daran konnte sich Missionar Gorth sonderbarerweise noch am nächsten Morgen, die Sonne stand schon ziemlich hoch, erinnern. Er hatte das Gefühl, sein Kopf sei aus Holz, das, was er nur mühsam auf seinen Schultern trug, war etwas Taubes, Spleißiges.
    Dagegen hilft nur ein Pfeifchen, sagte Lukas.
    Der Rat des Stammes hatte sich versammelt und bat Gorth, der reisefertig vor dem Ochsengespann stand, er möge, da er schon nicht bleiben könne, doch auch diesem Stamm einen Missionar schicken. Dann schnalzte die Zunge von Petrus, und der Zug setzte sich in Bewegung, begleitet von allen, die noch laufen konnten, und sei es auch nur hinkend. Petrus fuhr den Wagen vorsichtig das bebuschte Flußufer hinunter (die Einwohner der Werft blieben hier rhythmisch klatschend stehen), durchquerte das sandige Flußbett mit den vereinzelten Wasserpfützen, und unter dem Knallen von Petrus’ Zunge zogen die Ochsen den schweren Wagen am anderen Uferhang wieder hoch, langsam und keuchend. So zogen sie in die steinig hügelige Landschaft, hinter sich die blaugrüne Silhouette des Karrasgebirges, vor sich einen Himmel, an dem die Wolken wie Segelschiffe dahinzogen. Wie gewöhnlich schritt Gorth dem Gespann voran, aber beschwingt heute, in der Rechten seine Maiskolbenpfeife, in der Linken seinen Stecken, den er diesmal nicht wie einen Bischofsstab tappend bei jedem Schritt auf den Boden setzte, sondern wie ein Tambourmajor mal in die Luft warf, mal in der Hand über dem Kopf kreisen ließ. Hinter ihm keuchten die Ochsen. Neben ihm sprang und hüpfte Lukas. Petrus schlief auf dem Kutschbock seinen Rausch aus. Die Leitochsen suchten sich selbst ihren Weg.
    Gorth freute sich von Herzen, daß es diesen Stamm nach Gottes Wort verlangte. So werden sie den rechten Weg finden und das ewige Leben, sagte Gorth.
    Euer Taschenfeuer wollen sie, sagte keuchend der Rote Afrikaner, der Leitochse, der links ging, und eure Blechnäpfe. Wer will noch die Schlinge legen und mühsam die Racke fangen, wenn ihr einmal in die Luft schießt und gleich zwanzig fallen vom Himmel. Ihr seid schlimmer noch als Wundknie. Vor langen Zeiten, keuchte der Rote Afrikaner, gehörte die weite Steppe den Rindern, sie zogen, wohin sie wollten, von Quelle zu Quelle, von Fluß zu Fluß, dorthin, wo Regen fiel und hoch das Gras stand. Wer ihr Fleisch wollte, mußte ihnen nur folgen, und da sie reichlich davon hatten, gaben sie auch reichlich. Ihnen folgte auch Wundknie, der Urvater aller Hottentotten, mühsam nur und hinkend, da sein Knie schmerzte. Und da er oftmals den Herden nicht folgen konnte, wenn sie zu einer anderen Weide wechselten, ersann er eine List. Er schlich sich an eine Kuh, die vor Schmerzen brüllte, denn sie hatte sich einen Dorn in ihren Huf getreten. Da zog Wundknie ihr den Dorn aus dem Huf und bat sie, ihm dafür ihre Milch zu geben. Die Kuh, Vielfleck genannt, von der wir alle abstammen, die hier im Joch gehen, sagte sich: Es ist gut, wenn ich jemanden habe, der mir einen Dorn aus dem Huf ziehen kann, und willigte ein. So ließ sie sich von Wundknie melken und mit Grasbüscheln den Staub vom Fell reiben. Das Kalb aber fand schon bald keine Milch mehr in dem Euter und mußte Gras fressen. Eines Tages trafen sie die Herde in einer tiefen Weide. Da entdeckten die Stiere die leuchtendweiße Kuh mit ihren hellbraunen Flecken und folgten ihr. So zogen die Herden hinter den Stieren, die Stiere hinter der Kuh, und die weiße Kuh folgte dem hinkenden Wundknie von Quelle zu Quelle, von Fluß zu Fluß, wohin Wundknie ziehen wollte. Eines Tages fing sich Wundknie den jungen Stier, der einmal das Kalb der Kuh gewesen war, und zerbiß ihm die Hoden. Er band ihn an einem Baum, schlug ihn mit der Peitsche und rief einen Namen: Ochse, so lange, bis er auf diesen Namen horchte und geduldig stand, bis Wundknie auf seinem Rücken saß. So ritt Wundknie auf dem Ochsen voran, ihm folgte die Kuh Vielfleck, ihr die Stiere, denen die Herden. Schon bald hätten sie ohne Wundknie die Quellen nicht mehr finden können, sie vergaßen die Richtungen, sie verlernten den Regen zu riechen. Rinder, die sich verliefen, standen in der Steppe und blökten ängstlich. So kamen wir ins Joch, keuchte der Rote Afrikaner, und mit ihm keuchten neunzehn andere Zugochsen.
    Was Gorth am meisten erstaunte, war später, daß es ihn gar nicht überrascht hatte, einen Ochsen reden zu hören. Er hatte lediglich seinen Schritt etwas verlangsamt und ging, damit der keuchende Rote Afrikaner nicht

Weitere Kostenlose Bücher