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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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des Wagens und unter dem Wagen die drei Ochsenjungen, deren Schwatzen Gorth in der Nacht manchmal hörte. Am vierten Tag kam ein Südwind auf und putzte den Himmel blank. Als Gorth die Plane zur Seite schlug, lag eine andere Landschaft vor ihm. Die braungrau verbrannte Ebene war von einem silbrigen Grün verschluckt worden. In den sandigen Flußbetten gurgelte Wasser, und in der Luft war der Geruch von blühendem Gras.
    Der Garten Eden, sagte Gorth und drängte zum Aufbruch.
    Dieses Land ist wie ein Stein, und die Menschen sterben dann hungernd und dürstend.
    So seid nur geduldig, liebe Brüder, bis auf den Tag, da der Herr kommt. Siehe, ein Ackermann wartet auf die köstliche Frucht der Erde und ist geduldig darüber, bis sie empfangen den Frühregen und Spätregen. Seid auch geduldig und stärket eure Herzen, der Herr kommt bald.
    Aber warum auf Regen warten, wenn man Regen machen kann, fragte Lukas, die Daggapfeife in der Hand.
    Nüchtern war Lukas ein ruhiger, verständiger Mann, eben jener junge Hottentotte, den sich Gorth in Deutschland in einem Saal vor einem neugierigen Publikum vorstellen konnte. Aber kaum hatte er sich seine Daggapfeife angezündet, vollzog sich eine merkwürdige Wandlung, so, als ergreife ein fremdes, unbekanntes Wesen von dem Körper Besitz. Petrus hingegen, der seinen selbstgebrannten Fusel soff, blieb immer noch Petrus, auch wenn er, mit aller Gewalt zu Boden gezogen, seiner so kräftigen Zunge nicht den kleinsten Schnalzer mehr entlocken konnte und schließlich mit offenem Mund schnarchte. Hatte Lukas sein Pfeifchen ausgeraucht, konnte es passieren, daß er singend zu tanzen begann, in einem Begeisterungstaumel, und auf Gorths Frage, welche Sprache er denn da spreche, antwortete er: das ist die Sprache meiner Hände, hier, meiner Füße, sieh, die Sprache meiner Nase, meiner Ohren, eine Kopfsprache, hör, eine Herzsprache, eine Verdauungssprache, eine Sprache, die auch die Rinder verstehen, die Fettschwanzschafe, der Schakal, die Antilope, die Sandviper, die Dornbüsche, die Warteinbißchen. Missionar Gorth war nicht abergläubisch, schließlich war er hierhergekommen, um in die Finsternis des Aberglaubens das Licht der Erkenntnis des Herrn und Heilands zu tragen, aber wenn er Lukas so reden hörte, kam ein merkwürdiges Grausen in ihm auf, in dem zugleich auch etwas von Neugierde war. Nach sechs Wochen hatten sie den Löwenfluß erreicht, der nach dieser starken Regenzeit so viel Wasser führte, daß Petrus die Furt nicht finden konnte. Er wollte daher zu einer Werft trecken, die drei Tagesreisen östlich lag, um dort zu warten, bis der Fluß fallen würde. Gorth hingegen bestand darauf, nach Westen zu ziehen, also in Richtung Bethanien. Er dachte an die Hottentottin in Warmbad, zwischen deren Brüsten tagelang der Kopf von Petrus gelegen hatte. Als Gorth dann aber hörte, daß diese Hottentottenwerft noch nie von einem Missionar besucht worden war, wahrscheinlich noch nicht einmal einen Weißen gesehen hatte, stimmte er zu.
    Vierzehn Tage blieben sie in dieser Werft. Längst war das Wasser abgelaufen.
    Von dieser Werft hat er einen Brief geschrieben, den einer der Ochsenjungen, der nach Warmbad zurückkehren wollte, dorthin mitnahm. Fast zwei Monate später wurde er Gorths Verlobter, Erdmute, in Kapstadt überreicht, wohin sie eine Brigg nach stürmischer Fahrt gebracht hatte. In diesem Brief bat Gorth seine Braut, solange in Kapstadt zu warten, bis er ihr aus Bethanien Bescheid gäbe, daß sie kommen könne. Dennoch entschloß sie sich beunruhigt, sogleich die Reise nach Bethanien anzutreten. Dabei enthielt der Brief nichts weiter als ein paar Grüße, die Versicherung, es gehe ihm glänzend (er hatte tatsächlich glänzend geschrieben), und eine ausführliche, sich über mehrere Seiten hinziehende Beschreibung vom Treiben und Leben in dieser Hottentotten-Werft. Die Menschen seien arm hier, sehr arm sogar. Nach einer über Jahre anhaltenden Dürre – erst in diesem Jahr sei oft und viel Regen gefallen – sei fast das gesamte Vieh eingegangen. Den Kindern fehle es an Milch. Gelüste es sie nach Süßigkeiten, so fingen sie sich blumensuchende Bienen, denen sie den Honigmagen aus dem Leib zögen, um ihn dann auszusaugen. Wenn aber eine Familie einmal reichlich zu essen habe, sei es eine Antilope oder eine Racke, teile sie brüderlich mit den anderen. Trotz der Not sei man heiter und freundlich, nicht nur ihm, dem Fremden gegenüber, sondern auch untereinander. Die Frau sei dem Mann

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