Morenga
daß der Alkohol nicht verfliegen konnte.
Da das Faß auf dem langen Transport einer starken Sonneneinstrahlung ausgesetzt sein würde, hatte er zusätzlich ein Gestell konstruiert, das aus vier langen Holzlatten bestand, die mit Scharnieren an dem Fahrgestell, auf dem das Faß lag, befestigt wurden und dadurch – mit einem Sonnensegel bespannt – nach dem jeweiligen Stand der Sonne ausgerichtet werden konnten: So lag das Faß im Schatten. Über die Konstruktion des Zapfhahns, der am unteren Faßboden angebracht werden sollte, hatte Klügge während seiner monatelangen Handelsreisen durch das südliche Afrika gebrütet. Der Hahn mußte durch einen Verschluß derart gesichert werden, daß es fremden Händen unmöglich wurde, in einem unbeaufsichtigten Augenblick Branntwein abzuzapfen. Klügge hatte deshalb eine Art Tellereisen mit scharfen Zacken entworfen, in dessen Mitte der Zapfhahn lag und das, mittels einer gespannten Stahlfeder, zuschnappte, wenn jemand versuchen sollte, den Hahn aufzudrehen.
Der Hahn lag jetzt, und das wurde von den Einwohnern ängstlich bestaunt, wie in einem stählernen Raubtierrachen.
Mit Hilfe eines Schlüssels konnte man den Hahn einmal auf das Abzapfen des Branntweins einstellen oder aber auf die Stahlfeder des Tellereisens. Darüber hinaus war hinter dem Hahn eine Dichtung eingebaut, die durch einen Bolzen arretiert werden konnte, der wiederum mit einem Vorhängeschloß gesichert war, so daß, selbst wer seine Hand riskieren wollte, dennoch keinen Branntwein abzapfen konnte. Die für diesen Sicherungsmechanismus notwendigen beiden Schlüssel trug Klügge an einer aus Elefantenschwanzhaaren gedrehten Kordel um den Hals, wo man sie, wenn er sich den Oberkörper wusch, sehen konnte. Klügge pflegte den außergewöhnlichen Luxus, auch in wasserlosen Steppen sich zweimal täglich zu waschen. So versammelten sich zur vorgeschriebenen Stunde, morgens und abends, alle Ochsentreiber und Bambusen mit Blechdosen und Näpfen um den in einer Blechbadewanne stehenden Klügge. Da die Ochsen dieses Seifenwasser auch bei großem Durst nicht saufen mochten, mußten die Treiber ihren Kaffee damit kochen. Irgendwann in dieser Zeit muß das Gerücht aufgekommen sein, daß die Hottentotten neben Branntwein auch leidenschaftlich Seifenwasser trinken, ein Gerücht, das dann sogar in einigen frühen Reisebeschreibungen auftauchte und sich mehrere Jahre auch in der Fachliteratur hielt. Klügge genoß nicht nur den Ruf, ein Wasserverschwender zu sein; er genoß auch seinen Spitznamen: der weiße Riese, Klügge, ein schwerer, über 1,90 m großer Mann, der sich stets schwarz in schwarz kleidete, und zwar mit schwarzem Hemd und Weste, dazu einer Kordhose mit extra weitem Schlag, wie sie die Hamburger Zimmerleute zu tragen pflegten. Er überragte die kleinwüchsigen Hottentotten um gut vier Köpfe. Beim Verhandeln mußte er sich stets tief hinabbeugen, jedenfalls hatte er die merkwürdige Angewohnheit, beim Gehen den Oberkörper aus der Hüfte abgeknickt nach vorn zu beugen. Es war, als zöge ihn etwas gewaltsam nach unten.
Klügge kam aus Hörde, einem Dorf in der Nähe Dortmunds. Sein Vater war selbständiger Zimmermann und schickte den ältesten Sohn nach Dortmund auf das Gymnasium. Klügge galt als mittelmäßiger Schüler, der lediglich durch seine ungewöhnliche Körpergröße auffiel. Man mußte eine Bank aus der Oberprima für ihn aufstellen. Er schrieb später, auch das war nicht ungewöhnlich, wie die meisten seiner Klassenkameraden Gedichte, allerdings wurde er aufgrund eines solchen Gedichts, noch vor seiner Reifeprüfung, von der Schule relegiert. Das Gedicht war von dem Feuilletonredakteur der Stadtzeitung, dem Klügge es zugesandt hatte, an den Direktor des Gymnasiums weitergeleitet worden. Einige Zeilen dieses Gedichts nannte der Redakteur in seinem Begleitbrief pervers: Rosig schimmert mir entgegen, zart durchpulst / Vulva / Und in mir steigt auf ein nie geahntes Beben.
Auf der einberufenen Konferenz wurde von dem Deutschlehrer gerügt die holprige Metrik, die ungewöhnliche Reimform, das allein deute schon auf den sittlichen Verfall des Schülers Klügge. Einstimmig wurde von der Konferenz das sofortige Abeundi des Gymnasiasten Klügge beschlossen, wobei nicht allein das Pornographische des Textes ausschlaggebend war – man wußte, daß immer wieder ungesäuberte Ovid-Texte im Lateinunterricht zirkulierten –, sondern die Detailtreue in dem Gedicht, das Realistische, wie es in dem Protokoll
Weitere Kostenlose Bücher