Morenga
Graubläuliche changierender, elegant flauschiger Streifen, wie man sich zuflüsterte: eine Straußenfeder.
Schon zwei Tage später konnte man anläßlich der Beerdigung eines Mitglieds der Académie française, eines Romanciers und Astronomen, zwei ähnlich geschmückte Zylinder bewundern, und nach knapp sieben Wochen verrenkten sich Passanten in Berlin Unter den Linden die Hälse nach einem Zylinder, der aus einer Droschke stieg und mit einer Straußenfeder geschmückt war, während solche Zylinder in Paris schon zum alltäglichen Straßenbild gehörten. Die Pariser Hutmacher aber bestürmten die beiden Großhändler für Schmuckfedern. Ein Boom setzte ein, wie man ihn seit der Merveilleuse und den Uniformhüten und -helmen unter Napoleon nicht mehr erlebt hatte. Die Preise der Federn stiegen von Woche zu Woche. Dann kam der Tag, da man in ganz Paris keine Straußenfeder mehr auftreiben konnte. Sogar die beiden Strauße, die in einem kleinen Freigehege des Jardin des Plantes gehalten wurden, stolzierten eines Morgens nackt vor den Besuchern auf und ab. Jemand (vermutlich ein Putzmacher) war nachts über den Zaun ins Gehege gestiegen und hatte ihnen die Schwanzfedern abgeschnitten. Ein Engpaß im Importhandel, den man den Kunden mit den langwierigen und umständlichen Transportbedingungen sowie einer Überforderung der Produzenten zu erklären versuchte. Die Ungeduld der Kunden war verständlich, schließlich konnten sie bei einem Trauerfall nur wenige Tage warten, spätestens auf der Beerdigung mußten sie die Pleureuse anlegen, und wer wollte da, bei einem immerhin gesellschaftlichen Ereignis, mit so einem billigen Stoffetzen am Zylinder auftauchen. Man mußte die Kunden vertrösten, größere Sendungen würden schon bald eintreffen, aus Arabien, Argentinien und Südafrika.
In Bethanien hatten sich inzwischen unter der energischen Leitung des Häuptlings David Christian Tausende von Straußenfedern angesammelt, die auf einen jener Händler warteten, die ein- bis zweimal im Jahr durch den Ort kamen. Es hatte sich allerdings schon bald gezeigt, daß die Gewinnung der Federn von Tag zu Tag schwieriger wurde. Die früher einmal so zutraulichen Tiere waren scheu geworden, ja es bestand sogar die Gefahr, daß dieser Vogel im Gebiet von Bethanien ganz ausgerottet würde. Der Stammesrat trat zusammen. Der Kirchenälteste Lukas machte den Vorschlag, in Zukunft den Strauß nicht einfach zu Tode zu hetzen, sondern ihn mit Hilfe eines Seils einzufangen und ihm dann die Schwanzfedern auszureißen, so daß sie, wie man hoffte, nachwachsen konnten.
Als eines Tages, das war vor fast zehn Jahren, der Häuptling David Christian aus seinem Fuselrausch aufgetaucht war, fand er Bethanien von Missionar Knudsen verlassen und dessen Nachfolger Gorth, der den Ort nur als toter Mann erreicht hatte, begraben. (Sein Grab kann man noch heute sehen.) Beim Aufstehen warf er mit dem Fuß versehentlich das Fäßchen Branntwein um, einen kurzen Augenblick hing noch der betörende Geruch in der Luft, dann war nur noch die dunkelfeuchte Stelle im Sand zu sehen. Die Erde schwankte unter David Christians Füßen. Er nahm das als ein schlechtes Zeichen und schwor sich, nie wieder Alkohol zu trinken. Als Missionar Kreft aus dem westfälischen Wallenbrück in Bethanien eintraf, fand er dort einen Abstinenzler als Häuptling, der gerade ein Gesetz erlassen hatte, das jeden Handel mit geistigen Getränken, sei es Branntwein, Spiritus, Bier oder Wein, verbot. Die durchziehenden Händler hatten unter Androhung von Strafe jeglichen Alkohol unter Verschluß zu halten. David Christian, nomen est omen (Missionar Kreft war Humanist), gelang es, den Stamm von Bethanien, der bei Händlern dafür berühmt war, auch Brennspiritus zu trinken, innerhalb eines Jahres trockenzulegen. Da der Stamm noch zu Knudsens Zeiten wieder zu nomadisieren begonnen hatte, ging Kreft sogleich daran, eine Kirche aus Stein zu bauen. Kreft, der gern Architekt geworden wäre, zeichnete einen Entwurf für das Gebäude und schickte ihn nach Deutschland. Die Spender in Deutschland sollten wissen, wie das Gebäude aussehen würde, das sie mitfinanzierten. Eines Morgens sah man den zierlichen, aber sehr energischen Kreft in den Gärten, wie er schweißüberströmt die Daggapflanzen ausriß. Man muß das Übel an der Wurzel packen, pflegte er zu sagen. Um den Stamm von der unchristlichen Viehräuberei abzubringen, war Kreft Vegetarier geworden und versuchte, jedermann von den Vorzügen des
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